Montag, 9. Mai 2011

Afrikas atomare Träume

Die afrikanischen Länder Nigeria, Algerien, Marokko, Tunesien und Kenia stehen auf der Liste jener sechzig Staaten, die in den vergangenen Jahren Interesse am Bau von Atomkraftwerken bekundet haben. Kenias damaliger Wissenschaftsminister William Ruto, der inzwischen vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird, bestätigte noch 2010 vor der IAEO-Hauptversammlung das Ziel der Regierung, AKW zu bauen.

Jetzt ist das Thema in Kenia wieder entflammt – wegen eines Ereignisses vor einigen Wochen. Gemeint ist nicht die Katastrophe von Fukushima, sondern eine Titelstory der Zeitung Daily Nation: Darin heißt es, bis 2012 werde Kenia am Stadtrand von Nairobi ein Atomkraftwerk errichten, das 35 Gigawatt Strom erzeugen soll. Der Atommüll solle einfach in einigen 50 Kilometer tiefen Löchern vergraben werden, so der Bericht – ein Aprilscherz. Das hielt den Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Yukija Amano, nicht davon ab, auf Nachfragen von Journalisten positiv zu reagieren. "Wenn Kenia Kernkraft erzeugen will, werden wir zu Kenia stehen", sagte er in Nairobi. "Ich glaube fest, dass auch Entwicklungsländer Kernenergie nutzen sollen."

Dieser Glaube ist auch nach der Atomkatastrophe von Fukushima unerschüttert: Die IAEO wurde 1957 dezidiert mit dem Ziel gegründet, die friedliche und sichere Nutzung der Atomenergie zu fördern. Amano rührt deshalb kräftig die Werbetrommel – auch in anderen Staaten, die einem kaum als sichere Standorte für Atommeiler in den Sinn kommen: Nigeria, Algerien, Marokko und Tunesien.

In Nigeria ist sogar ein Versuchsreaktor in Betrieb:
in Saria im Norden des Landes. "Nigeria hat mit einem Nuklearenergieprogramm begonnen, um der Selbstversorgung mit Energie näherzukommen", kündigte Nigerias Wissenschaftsminister Mohammed Abubakar beim letzten IAEO-Gipfel an. Wenige Wochen später vereinbarten Nigeria und Russland die Lieferung von Reaktoren. "Wir sind sicher, dass die Atomenergie uns nützen wird", so Nigerias Außenminister Odein Ajumogobia. "Was die Sicherheit angeht, haben wir keine Bedenken: Wir halten uns an alle internationalen Abkommen." Dass sich Ajumogobias Meinung nach dem Reaktorunglück von Fukushima geändert hat, ist unwahrscheinlich. Eine breite Stimmung gegen die Atomkraft jedenfalls ist in Nigeria nicht auszumachen.

Strom in Nigeria ist rar: Wegen ständiger Pannen in den oft trocken liegenden Wasserkraftwerken oder den wenigen Gaskraftwerken im Land haben die 155 Millionen Nigerianer nur wenige Stunden Strom am Tag. Oft wird auch der einzigen Raffinerie im Land der Strom abgestellt, dann wird der Diesel für die zahllosen Generatoren im Land knapp. Pläne der Regierung, die Stromversorgung zu sichern, scheitern auch daran, dass innerhalb von Ministerien und Staatskonzernen Millionensummen verloren gehen.

Schlimmer als ein finanzieller Schaden wäre aber ein atomarer, findet Olorundare Aworowa, einer der wenigen lautstarken Atomkraftgegner im Land. Deshalb sollten die Nigerianer allen Grund haben, sich gegen Atomkraft zu wehren. "Bis jetzt zahlen wir für die Korruption im Land nur mit Stromausfällen", warnt Aworowa. "Im Falle eines atomaren Zwischenfalls würden wir mit Menschenleben zahlen müssen."

Ob Atomkraft armen Ländern helfen kann, ist fraglich. Die Kosten sind so hoch, dass viele Länder nach Ausschreibungen vom Bau absehen. Oft fehlen die technischen Voraussetzungen. Wenn das Stromnetz zu sehr von einem einzigen Kraftwerk abhängt, droht es zusammenzubrechen. Und selbst unter Befürwortern von Atomkraft ist umstritten, ob die Technologie für arme Länder ein Segen oder ein Fluch ist. Sogar die IAEO räumt auf ihrer Website ein: "Wenn man sofort Strom braucht, hilft Atomenergie nicht – man geht eine langfristige, länger als 100 Jahre währende Verpflichtung ein."

Quelle: klimaretter.info / Marc Engelhardt

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