Derzeit liegen die Pläne zum Bau von Borssele II gemäss den Aachener Nachrichten in den Gemeindehäusern der angrenzenden Kommunen in der Provinz Zeeland zur Einsicht aus. Bis zum 12. Januar konnte jeder Bürger seine Einwände schriftlich oder mündlich bei den Gemeinden oder dem niederländischen Wirtschaftsministerium einreichen. Laut EU-Recht darf auch jeder Bürger aus NRW seine Zweifel vorbringen. Denn die Menschen in der Region sind vom Projekt Borssele II unmittelbar betroffen: Der Reaktor steht 200 Kilometer von Aachen entfernt. Im Falle eines Unfalls würde die Region aufgrund des westlichen Windes von radioaktiv verstrahlten Partikeln getroffen.
Das einzige AKW Hollands, Borssele I, bekommt möglicherweise nie eine Schwesteranlage - die Investoren springen offenbar ab.
Für die Niederländer wäre es wenig überraschend, würde der größte Widerstand gegen das Projekt aus Deutschland kommen. Denn während es in dem Benelux-Staat keine nennenswerte Anti-Atomkraft-Bewegung gibt, organisiert sich beim deutschen Nachbarn der Widerstand mit staatlicher Unterstützung. Die Städteregion Aachen hat bereits eine Resolution verfasst, in der das Land NRW aufgefordert wird, mit allen Mitteln gegen den Reaktorbau vorzugehen. Die hat das Land zugesagt und ermuntert Bürger dazu, Einwände einzureichen.
Dass der geplante Bau von Borssele II nun aber ins Stocken geraten ist, liegt nicht an den deutschen Atomkraft-Gegnern. Vielmehr hat die Kernenergie dramatisch an Anziehungskraft für Investoren verloren. Zu teuer, zu viel Risiko, zu wenig Profit. Zwar propagieren viele Industrie- und Schwellenländer noch heute den Ausbau des Atomstroms. Doch in der Realität sind die derzeit im Bau befindlichen Reaktoren auf dem Weg, zu Milliardengräbern zu werden. Die Investoren wenden sich ab.
Auch der Essener Energie-Riese RWE ist bei Borssele II zurückhaltend geworden. Das war einmal anders. RWE, bereits zu 30 Prozent im Besitz des Kernkraftwerks Borssele I, sollte einer der Hauptinvestoren des mit rund fünf Milliarden Euro veranschlagten Projekts Borssele II werden. Doch RWE will derzeit keine finanziellen Zusagen mehr machen. Das führt dazu, dass die gesamte Finanzierung auf der Kippe steht. Der niederländische Konzern Delta, der das neue Kraftwerk nahe Vlissingen bauen will, musste seine Bauanfrage zurückstellen - zunächst um ein halbes Jahr. Delta hofft nun, dass der niederländische Staat selbst in Borssele II einsteigt. So soll das Projekt für Investoren wieder attraktiv werden. Doch Premier Mark Rutte hatte bereits mehrfach betont, dass seine Regierung zwar den Weg zum Bau des Kraftwerks freimachen werde. Aber auf keinen Fall werde der Staat finanziell Hilfe leisten. Und damit liegt das komplette Risiko bei den privaten Investoren.
Und das ist kaum noch kalkulierbar, wie ein Beispiel aus Finnland zeigt. In Olkiluoto entsteht seit 2003 Europas modernstes Kernkraftwerk. 2010 sollte es ans Netz gehen. Die Kosten waren auf drei Milliarden Euro kalkuliert. Tatsächlich ist der Reaktor aber heute noch nicht betriebsbereit. Die Kosten liegen inzwischen bei knapp sieben Milliarden Euro - Tendenz steigend, Ergebnis ungewiss.
Ein weiterer Punkt, der den Betreibern von Kernkraftwerken Sorgen bereitet, sind die Erfahrungen, die sie beim Rückbau ihrer alten Meiler machen. Denn der Abbau eines Kernkraftwerks ist noch teurer als der Aufbau. Ganz zu schweigen von den stetig wachsenden Sicherheitsstandards. Die EU verlangt von seinen Mitgliedsstaaten seit neustem einen Stresstest. In Frankreich ergab dieser Test, dass zwar alle Anlagen weiter betrieben werden dürfen. Allerdings müssen sie laut französischer Atomaufsicht für «mehrere dutzend Milliarden Euro» ertüchtigt werden.
Kein Wunder, dass Investoren angesichts dieser Entwicklung auch bei Borssele II skeptisch geworden sind. Offiziell liegt das Projekt nun ein halbes Jahr auf Eis. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Borssele II nie gebaut wird. Das wird die deutschen Atomkraft-Gegner freuen. Vergessen darf man dabei aber nicht, dass bei Vlissingen mit Borssele I bereits ein Reaktor steht. Der Druckwasserreaktor ist bereits seit 37 Jahren am Netz. Eigentlich sollte er 2004 vom Netz gehen. Doch dieser Beschluss wurde revidiert. Aktuell geplantes Jahr der Abschaltung: 2034.
Quelle: Aachener Nachrichten
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