Samstag, 11. April 2015

Probleme bei AKW Flamanville reichen weit - bis in die Schweiz

Schwerer Schlag für französische Atomindustrie. Im Reaktorbehälter des AKW-Neubaus Flamanville sind Risse aufgetaucht. Die französische Presse mutmasst irreparable Schäden, während sich die sonstige Atomwelt bedeckt hält. Möglicherweise ist das ein weiterer Sargnagel für die französische Atomsparte, die zuvor schon von massiven Finanzproblemen gebeutelt wurde. Einen Rückschlag stellt das auch für die Gegner des unweit von Basel gelegenen Uralt-Reaktors Fessenheim dar.

Es ist nicht der erste Schlag, den die französische Atomindustrie in diesen Monaten zu verkraften hat – aber vielleicht ist es der folgenschwerste. Mit Auswirkungen auf die Entwicklung des künftigen Atomkomplexes insgesamt, zumindest in der westlichen Welt. Für Frankreich selbst kommt erschwerend hinzu, dass plötzlich der Nutzen, ja schon die Überlegenheit, der erneuerbaren Energien wahrgenommen wird. Doch alles der Reihe nach – und gemäss dem aktuellen Kenntnisstand zu einer Branche, die sich nicht durch Transparenz auszeichnet. Zahlreiche Berichte vor allem in französischen Medien erlauben eine schemenhafte Beurteilung.

Vier Tage ist es her, dass Meldungen auftauchten über Risse im Kernmantel des noch in Bau befindlichen AKW Flamanville (siehe Luftbild links mit dem noch offenen Reaktorbehälter). Flamanville wird eh schon der teuerste Meiler aller Zeiten – Baudauer und Baukosten sind geradezu explodiert. Letztere machen unterdessen mindestens 8,5 Milliarden Euro aus – eine Inbetriebnahme steht nicht vor 2017 zu erwarten, dabei sollte das Werk schon seit 2011 Strom liefern. Und nun also dies: Die französische Atomaufsicht ASN gab am Dienstag eine "Anomalie" beim Reaktorbehälter des sogenannten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) bekannt. Die Newsplattformformat.at schreibt dazu: «Ein Behördenverantwortlicher sagte, das Problem liege in der Zusammensetzung des Stahls in bestimmten Bereichen des Behälterdeckels und des Bodens.» Nun sollen bis Oktober Ergebnisse einer von Umweltministerin Segolene Royal veranlassten Untersuchung vorliegen.

Die französische Presse überschlägt sich mit Mutmassungen und sieht teils schon das Ende dieser wichtigen, aber auch arg strapazierten Industriesparte gekommen. Vor Monatsfrist hatte der AKW-Bauer Areva einen Jahresverlust von nahezu fünf Milliarden Euro kommuniziert. Seither reissen auch die Spekulationen nicht ab, wonach der staatliche Energieversorger Electricité de France (EDF) sich zumindest teilweise am ebenfalls staatlichen Areva-Konzern beteiligen solle. Die Schlagzeilen zu den neuesten Problemen in Flamanville, die in erster Linie auf Areva zurückfallen, lauten unter anderem:

- Un chantier décidément problématique – siehe HuffingtonpostFrance
- Le réacteur EPR de Flamanville n’en finit pas d’accumuler les problèmes techniques: l’Autorité de sûreté nucléaire (ASN) a annoncé mardi une nouvelle «anomalie» sur la cuve, un «élément particulièrement important pour la sûreté» siehe Liberation
- Le réacteur EPR de Flamanville touché au cœur - siehe Le Monde

Fatal erscheint eine gewisse Verknüpfung mit dem maroden AKW Fessenheim unweit der Schweizer Grenze gelegen, wie die Tageswoche schreibt: «Vieles hängt dabei vom neuen Druckwasserreaktor beim Kernkraftwerk Flamanville in der Normandie ab. Kommt dieser in Betrieb, wird als Kompensation ein anderes geschlossen. » Und dieses ist höchstwahrscheinlich Fessenheim. Umgekehrt heisst das auch – wenn Flamanville noch lange nicht oder vielleicht nie in Betrieb geht, dann wird Fessenheim um so länger laufe.

Für die Atomwirtschaft in Frankreich läuft es auch sonst nicht optimal. Das mit französischer Beteiligung und Extrem-Subventionen in Grossbritannien geplante Hinkley Point ist noch nicht in trockenen Tüchern – die dort engagierte Areva geht derzeit über die Finanzbücher, mit ungewissem Ausgang (siehe dazu Figaro vom  2. April 2015).

Und plötzlich machen in Frankreich Studien die Runde, die die Erneuerbaren Energien kostenmässig im Vorteil gegenüber der Atomkraft sehen (siehe LeMonde  vom 9. April 2015). Dort heisst es unter anderem, dass Frankreich bis zum Jahr 2050 seinen Strom vollumfänglich aus erneuerbaren Quellen beziehen könnte. Der wäre dann zwar um rund ein Drittel teurer gegenüber heute – nur dass diese Verteuerung auch zu gewärtigen sei, wenn das Land weiterhin auf die Atomkraft setzte – die extreme Kostensteigerung von Flamanville lässt grüssen.

© Solarmedia

Donnerstag, 9. April 2015

Risse im Druckbehälter des neuen AKW Flamanville

Wie die französische Nuklearaufsicht Autorité de Sûreté Nucléaire ASN auf ihrer Website veröffentlichte, sind im Reaktordruckbehälter des Atom-Neubaus Flamanville-3 Risse und Kohlenstoff-Einschlüsse gefunden worden, wie sie zuletzt bei den mittlerweile zur Sicherheit vom Netz genommenen belgischen Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 festgestellt wurden. 

GLOBAL 2000, Quelle dieser Information, fordert nun die Stilllegung von Reaktoren mit erwiesenen Rissen. Das französische Flamanville-3-AKW (siehe Bild der Baustelle) ist neben dem finnischen Projekt Olkiluoto-3 das „Vorzeigeprojekt“ für den Europäischen Druckwasserreaktor EPR des französischen Reaktorbauers Areva, das von Anbeginn an in massive technische und finanzielle Schwierigkeiten geriet – und jetzt trotzdem für das britische Atom-Projekt Hinkley Point C vorgesehen ist. Der französische Reaktor sollte 2012 zum Preis von 3,3 Milliarden Euro fertig gestellt werden – derzeit wird jedoch schon mit einer Verzögerung von 5 Jahren und einer Kostenüberschreitung von 5,2 Milliarden auf insgesamt 8,5 Milliarden Euro gerechnet. Eine Vielzahl von Baumängeln wurden am Projekt festgestellt: So hatten tragende Betonpfeiler Löcher, die Wände des Abklingbeckens für die Brennelemente waren fehlerhaft, mindestens ein Viertel der Verbindungen der Stahlauskleidung des äußeren Containments entsprach nicht dem vorgeschriebenen Standard und Risse im Beton-Fundament der Anlage führten zu einem mehrmonatigen Baustopp.

„Die französische Atomaufsicht berichtet von einer Anomalie in der Zusammensetzung des Stahls in Teilen des Deckels und dem unteren Bereich des Reaktorbehälters des Flamanville-AKW. Nun sollen mit Vergleichstests die genaue Lage der Anomalie und die mechanische Stärke des Stahles analysiert werden. Der Reaktordruckbehälter eines Druckwasserreaktors ist besonders wichtig für die Sicherheit des Atomkraftwerks: Er enthält den Nuklearbrennstoff und hält als erste Barriere den Austritt von radioaktiver Spaltprodukten auf – was beim Versagen eines Druckbehälters passiert, hat sich bei den Kernschmelzen im japanischen Fukushima gezeigt“, so Dr. Reinhard Uhrig, Atomsprecher der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000. „Es ist unverantwortlich, Reaktoren mit Rissen im Druckbehälter weiterzubetreiben – und es ist völliger Wahnsinn, neue Reaktoren mit erwiesenen Rissen in Betrieb zu nehmen.“

In den beiden belgischen Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 wurden erstmals 2012 bei Ultraschall-Untersuchungen Risse im Reaktordruckbehälter festgestellt, die auf Baumängel hinweisen. Aufgrund von neuen Tests im Jahr 2014 stellte die belgische Nuklearaufsicht FANC sogar noch mehr Risse fest, 13.047 Risse im Druckbehälter von Doel-3, 3.149 Risse in Tihange 2. Diese wurden in Folge vorsorglich vom Netz genommen. „Wir fordern die sofortige Überprüfung der Reaktordruckbehälter aller in der EU laufenden Atomreaktoren auf Risse und Kohlenstoff-Einschlüsse im Stahl. Ohne diese Analyse und eine fundierte Studie zu Auswirkungen auf die Festigkeit des unter höchstem Druck und thermischer Belastung stehenden Druckbehälters Atomkraftwerke weiter zu betreiben, ist ein fahrlässiges Spiel mit dem Super-GAU“, so Uhrig abschließend.

Die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 fordert seit Jahren ein Ende des Atomzeitalters für die Stromerzeugung, unter anderem in der von 650.000 Menschen europaweit unterstützten Kampagne „Abschalten! Jetzt!“, und ein Umschalten auf Effizienz und erneuerbare Energieträger.


Quelle: sonnenseite.com / Global 2000