Freitag, 27. November 2015

Klima ist mit neuen AKW nicht zu retten

Ab Montag ringen die UNO-Mitgliedstaaten in Paris über Klimaschutz-Massnahmen und den Ersatz fossiler Energieträger. Entgegen den Beteuerungen der Atomlobby können AKW dabei keine Rolle spielen. Denn die Atomkraft ist nicht Teil der Lösung, sie ist Teil des Klimaproblems: Weder sind AKW CO2-frei, noch verfügen sie über das Potential, die Fossilen ersetzen zu können. Vor allem aber sind neue AKW viel zu teuer. Die Schweizerische Energie-Stiftung SES ruft auf zu einem nachhaltigen Klimaschutz mit Hilfe von Effizienzmassnahmen und erneuerbaren Energien.

Mit dem Argument, ein AKW würde fast kein CO2 ausstossen, will die Atomlobby am diesjährigen Klimagipfel in Paris für neue Reaktoren werben. So hat die Schweizerische Gesellschaft für Kernfachleute jüngst zusammen mit anderen internationalen Organisationen eine Deklaration namens «Nuclear for Climate» unterzeichnet. Doch wer die Fakten kennt weiss: Das Klima ist mit neuen AKW nicht zu retten.
 
CO2-Ausstoss von bis zu 288 Gramm pro kWh
Einzig der Betrieb eines Atomkraftwerks ist nahezu CO2-frei. Wird die ganze Atomstromproduktion vom Uranabbau bis hin zur Stilllegung der Atomkraftwerke und die Entsorgung radioaktiver Abfälle berücksichtigt, so wird ein AKW zum Klimasünder: Eine Analyse von 103 Studien zeigt zwar eine sehr grosse Bandbreite. Diese reichen von 1,4 bis 288 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Auch im Vergleich mit erneuerbaren Energien wird klar, wo die echten Klimaschutzpotentiale liegen: Laut Berechnungen des World Information Service on Energy (WISE) spart ein neues Windrad pro investierten Franken drei Mal mehr CO2 ein als ein neuer Reaktor:


Das Szenario "tief" geht von tiefsten Annahmen bezüglich der Kosten für vermiedenes CO2 aus, das Szenario "hoch" von maximalen Annahmen. Die Atomenergie schneidet am schlechtesten ab. Sie ist die teuerste Klimamassnahme.

Neue AKW rechnen sich nicht
Der Anteil fossiler Energien an der weltweiten Energieversorgung beträgt heute 90 Prozent. Um das Klima zu retten, muss ein erheblicher Teil der fossilen Energieproduktion ersetzt werden. Der Anteil der Atomenergie liegt heute bei 2 Prozent. Und der Trend zeigt nach unten: Während 1996 der weltweite Atomstromanteil noch 17,6 Prozent betrug, waren es im Jahr 2014 nur noch 10,8 Prozent. Die wenigen AKW-Neubaupläne in Europa zeigen weshalb. In Olkiluoto und Flamanville explodieren die Kosten, in England verlangt die Betreiber-Gesellschaft schon vor Baustart staatliche Subventionen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass zwischen 2000 und 2013 57 Prozent der weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien flossen und nur 3 Prozent in die Atomenergie.

 
Die Schweizerische Energie-Stiftung warnt vor falschen Klimaschutzmassnahmen. Eine ehrliche Klimapolitik setzt auf Effizienzmassnahmen und den Zubau von erneuerbaren Energien, um die Fossilen zu substituieren. So können Teufel und Beelzebub in einem ausgetrieben werden: Klima schonen und AKW überflüssig machen.


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Klima-Aktionstage
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Quelle: Schweizerische Energie-Stiftung SES

Dienstag, 17. November 2015

Grünes Licht in Belgien kein Freibrief für Beznau

Die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC hat einen höchst fahrlässigen Entscheid gefällt: Sie gibt grünes Licht für das Wiederanfahren der beiden Reaktoren Doel 3 und Tihange 2. Greenpeace Schweiz kritisiert den Entscheid der FANC und warnt davor, daraus voreilige Rückschlüsse auf die Situation im Schweizer Uralt-AKW Beznau zu ziehen.

Die belgische Atomaufsichtsbehörde hat heute ihren Entscheid mitgeteilt, dass die beiden Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 wieder ans Netz dürfen. Beide Reaktoren stehen seit über einem Jahr still. Grund dafür sind tausende Risse, die im Reaktordruckbehälter (RDB) entdeckt wurden. Nun teilt die FANC mit, diese Risse (oder «Wasserstoff-Flakes», wie sie die Aufsichtsbehörde nennt) würden «kein unakzeptables Sicherheitsrisiko für die Reaktoren darstellen». Wie dieser Entscheid aber genau zustande gekommen ist, bleibt unklar: «Es bleiben mehr Fragen offen als beantwortet wurden», sagt Stefan Füglister, Atomexperte für Greenpeace. «Zwei von Rissen übersäte Reaktordruckbehälter auf dieser Grundlage wieder in Betrieb zu nehmen ist grobfahrlässig.»

Beznau ist nicht Doel oder Tihange
Die in Belgien entdeckten Risse führten dazu, dass auch in Schweizer AKW Ultraschallmessungen an den RDB durchgeführt wurden. Dabei kamen in Reaktor 1 des AKW Beznau Schwachstellen zutage. Nun wäre es aber höchst verfehlt, aus dem Entscheid der FANC Rückschlüsse auf die Situation in Beznau zu ziehen: «Der Entscheid in Belgien ist kein Freibrief für das Wiederanfahren von Beznau 1», betont Stefan Füglister. Die Situation ist aus verschiedenen Gründen nur sehr bedingt vergleichbar:


  • Der Reaktordruckbehälter in Beznau besteht aus einem anderen Material (unterschiedliche chemische Zusammensetzung der Stahllegierung) als die belgischen RDB
  • Der Reaktordruckbehälter in Beznau ist 14 bzw. 13 Jahre länger in Betrieb als dessen Pendants in Tihange und Doel
  • Aufgrund des längeren Betriebs muss man davon ausgehen, dass der RDB von Beznau stärker versprödet ist – was sich negativ auf die Sicherheit auswirkt
  • Nach wie vor ungeklärt ist, ob die Risse in den belgischen Reaktoren aufgrund des laufenden Betriebs grösser werden – diese zentrale Frage muss auch in Beznau geklärt werden, bevor über eine Wiederinbetriebnahme überhaupt nachgedacht werden kann

Greenpeace fordert Berichte zu Beznau
Die genaue Situation in Beznau will die Betreiberin Axpo offenbar so lange geheim halten wie es geht. Man weiss in den Führungsetagen wohl, dass ein Wiederanfahren von Beznau 1 kaum gerechtfertigt werden kann. Greenpeace Schweiz fordert, dass der Bericht der Axpo an das ENSI lückenlos veröffentlicht wird. Es kann nicht Sache von einigen Ingenieuren sein zu bestimmen was als sicher gilt und der Bevölkerung zumutbar ist.

Quelle: Greenpeace

Samstag, 7. November 2015

Klimaschutz geht ohne Atomenergie

Photovoltaik und Windkraft können Atomstrom ersetzen – Energieexperten des DIW Berlin: Renaissance der Atomkraft ist weder sinnvoll noch nötig –  Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke und der Endlagersuche sollte über öffentlich-rechtlichen Fonds gesichert werden.

Die europäischen Klimaschutzziele sind nicht gefährdet, wenn bestehende Atomkraftwerke nach und nach abgeschaltet und keine neuen mehr gebaut werden. Das ergeben Fallstudien sowie Szenarioanalysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), denen zufolge die Emissionsminderungsziele in Europa bei einem deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien auch gänzlich ohne Atomkraft erreicht werden können. „Europa braucht die Atomkraft nicht“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin.  

„Deutlich gestiegene Investitionskosten für neue Atomkraftwerke, zunehmende Betriebskosten und ungelöste Fragen des Rückbaus und der Endlagerung machen die Technologie auch wirtschaftlich derart unattraktiv, dass es eine Renaissance der Atomkraft nicht gibt und auch nicht mehr geben wird.“ Vor allem die immer günstigere Stromproduktion aus Windkraft und Photovoltaik könne die Rückgänge bei der Atomkraft kompensieren. Kemfert - siehe Bild - wird kommenden Freitag, 13. November, auch am AEE-Kongress in Basel auftreten.

Die Energieexperten des DIW Berlin sprechen sich dafür aus, die Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle in Deutschland über einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu sichern. Dieser Atomfonds könnte die Rechtsform eines Sondervermögens des Bundes oder einer öffentlich-rechtlichen Stiftung haben. Die Einzahlung der Konzerne könnte in Anlehnung an die Aufbauphase des Bankenrestrukturierungsfonds über acht bis zehn Jahre gestreckt werden.

Die Atomkraft ist in der westlichen Welt ein Auslaufmodell: In vielen Ländern ist der Ausbau beinahe zum Erliegen gekommen, schon heute gehen mehr Kapazitäten vom Netz, als neue hinzukommen. Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromproduktion ist in den vergangenen 20 Jahren von 17 auf elf Prozent gesunken. Die meisten der weltweit betriebenen rund 400 Atomkraftwerke sind alt und müssen immer komplexere und teurere Sicherheitsanforderungen erfüllen. Neue Kraftwerke werden nur noch in wenigen Ländern gebaut, darunter China, Russland und Großbritannien (Hinkley Point). Die Projekte verzögern sich oftmals und sind letztlich teurer als geplant. „Noch nie ist auf der Welt auch nur ein einziges Atomkraftwerk ohne umfangreiche staatlichen Beihilfen gebaut worden“, erklärt DIW-Forschungsdirektor Christian von Hirschhausen. Verschärfte Rahmenbedingungen belasten zunehmend die Bilanzen der Atomkonzerne, die vor teilweise existentiellen Herausforderungen stehen.

Angesichts des auch deshalb bereits stattfindenden Wandels hin zu erneuerbaren Energien hat das DIW Berlin mit einem Strommarktmodell verschiedene Entwicklungspfade der Stromwirtschaft in Europa berechnet. Das Ergebnis: Im Szenario „Keine neue Atomkraft“ könnten im Jahr 2050 alle Atomkraftwerke durch einen massiven Ausbau der Windkraft und Photovoltaik sowie der Speicherkapazitäten ersetzt werden – bei gleichzeitig stattfindender Dekarbonisierung. Würde zusätzlich die Energieeffizienz deutlich steigen, wäre der Speicherausbau sogar weitgehend verzichtbar. In diesem Szenario („Keine neue Atomkraft & Energieeffizienz“) wären die Gesamtkosten, die unter anderem aus den Investitionskosten in neue Stromerzeugungskapazitäten und Netze sowie den Betriebs- und Erzeugungskosten bestehen, mit Abstand die niedrigsten. Doch auch im Szenario „Keine neue Atomkraft“ sind die volkswirtschaftlichen Kosten niedriger als für den Fall einer Laufzeitverlängerung alter Atomkraftwerke in Europa.

Wenn Atomkraftwerke stillgelegt werden, kommen hohe Kosten für den Rückbau auf die Energiekonzerne zu. Zudem müssen sie die Finanzierung der Entsorgung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle sicherstellen. Obwohl ein vom Bundeswirtschaftsministerium veranlasster Stresstest im August dieses Jahres ergab, dass E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW für die Entsorgungsverpflichtungen einstehen können, bleiben die Energieexperten des DIW Berlin skeptisch: Die Konzerne verlieren an der Börse an Wert, zudem könnten sich schwankende Strompreise und weitere technische Herausforderungen in den Bilanzen niederschlagen. „Mit der Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds sollte die Finanzierung dauerhaft gesichert werden“, sagt DIW-Forschungsdirektorin Dorothea Schäfer. Um die in Deutschland erwarteten Kosten bis zum Jahr 2099 decken zu können, wären zweistellige Milliardenbeträge nötig: Nimmt man einen – angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase realistischen – Zinssatz von 1,5 Prozent an, müssten bis zum Jahr 2024 insgesamt 82 Milliarden Euro zusammenkommen. Bei einem Zinssatz in Höhe von 4,58 Prozent, den die Konzerne bisher für ihre Rückstellungen verwendet haben, läge das Zielvolumen immer noch bei 35 Milliarden Euro.

 „Alternativen wie eine privat-rechtliche Stiftungslösung sind im Falle der Atomwirtschaft nicht geeignet“, sagt Rechtsanwältin und Co-Autorin Cornelia Ziehm und verweist in diesem Zusammenhang auf die finanzkräftige RAG-Stiftung, die die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus tragen soll. Selbst bei ihr bestünden erhebliche Risiken für die öffentliche Hand, auf den Kosten sitzen zu bleiben – und die zu erwartenden Kosten im Atombereich seien noch wesentlich höher. Bei der derzeitigen Praxis der internen Rückstellungen der Atomkonzerne bestehe die Gefahr, dass sich diese ihrer finanziellen Verantwortung durch Umstrukturierungen zumindest teilweise entziehen.

DIW Wochenbericht 45/2015 | PDF, 1 MB
DIW Wochenbericht 45/2015 als E-Book | EPUB, 2.48 MB
Interview mit Claudia Kemfert (Print | PDF, 102.93 KB und Audio) | MP3, 4.37 MB

Quelle: DIW