Dienstag, 30. November 2010

EU-Milliarde für Forschung

Drei neue europäische Forschungsinfrastrukturen sollen dazu beitragen, die zukünftige Energieversorgung zu sichern. Auch die Solarenergie gehört zu den begünstigten - am allermeisten fällt aber wieder einmal für die Atomforschung ab.

Geplant sind Infrastrukturen zur Erforschung der Windenergie in Dänemark, ein Kraftwerk für Sonnenenergie in Spanien und ein Kernforschungsreaktor in Belgien. Das haben die EU-Forschungsminister, assoziierte Länder und die Europäische Kommission beschlossen. Die gesamten Investitionen für alle drei Infrastrukturen belaufen sich auf 1,2 Milliarden Euro. Die Infrastruktur "Windscanner" wird gemeinsam von Partnern aus sieben europäischen Ländern in der Nähe des dänischen Roskilde betrieben, darunter auch vom deutschen Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik aus Kassel. Start ist 2013 mit einem Budget zwischen 45 und 60 Millionen Euro.

Die Entwicklung einer Europäischen Forschungsinfrastruktur von Weltklasse durch Zusammenlegung der Ressourcen auf EU-Ebene ist ein wichtiges Ziel der Union der Innovation. Diese Einrichtungen werden bahnbrechende Forschung und Innovation ermöglichen und könnten letztlich auch dazu beitragen, die künftige Energieversorgung der EU zu sichern ", betonte Forschungskommissarin Máire Geoghegan-Quinn.

EU-SOLARIS wird am Zentrum für moderne Technologie „Erneuerbare Energien" im spanischen Tabernas, Almeria, eingerichtet und dient in erster Linie der Entwicklung neuer Technologien für die konzentrierte Solarenergie. Die Baukosten betragen rund 80 Mio. EUR. Die neue Forschungsinfrastruktur umfasst ergänzend weitere Standorte an mehreren führenden europäischen Labors in den europäischen Ländern mit dem höchsten Potenzial zur Nutzung von Sonnenenergie (Portugal, Italien, Griechenland und die Türkei) sowie in Deutschland (Technologieanbieter).

Der belgische Forschungsreaktor für MYRRHA in Mol dient der Erforschung von Möglichkeiten zur Verringerung radioaktiver Abfälle. Der detaillierte technische Entwurf für die Einrichtung soll im Jahr 2014 vorliegen. Die Gesamtkosten werden auf rund 960 Mio. EUR veranschlagt (2010-2023). MYRRHA wird weltweit die erste Großanlage sein, an der untersucht wird, wie verbrauchte radioaktive Kernbrennstoffe durch Trennung und Transmutation reduziert werden können. An der Einrichtung kann auch die Machbarkeit einer neuen Generation von Kernkraftwerken getestet werden, die der Schnellreaktoren. MYRRHA ergänzt den Jules Horowitz-Reaktor (Thermospektrumreaktor), der sich derzeit in Cadarache, Frankreich, im Bau befindet.

Quelle: Sonnenseite / EU-Kommission

Montag, 29. November 2010

Olkiluoto weiter verspätet

Der finnische Krisenreaktor in Olkiluoto erleidet eine weitere Verspätung - vier Jahre sind es unterdessen, und die Verluste steigen ins Unermessliche. Im Folgenden die Originalmeldung von «Le Figaro» zur neuerlichen Verzögerung und zu einem Vergleich mit dem ähnlichen Projekt in Frankreich - der Aktualität halber in der Originalsprache.

Le démarrage du réacteur nucléaire de troisième génération EPR, construit en Finlande par le groupe nucléaire français Areva et l'allemand Siemens, ne commencera son "fonctionnement normal" qu'au deuxième semestre 2013, soit avec plus de quatre ans de retard. "Le fournisseur indique que la mise en service prendra huit mois, ce qui signifie que le fonctionnement normal commencera au second semestre de 2013", a annoncé aujourd'hui le groupe finlandais d'électricité TVO, commanditaire de l'EPR. Le groupe nucléaire Areva, qui entretient des relations souvent conflictuelles avec son client TVO, a réfuté tout retard qui lui serait directement imputable. "Sur notre périmètre, il n'y a pas de retard par rapport au dernier calendrier de 86 mois de construction entre le premier béton et le chargement du combustible nucléaire", a déclaré une porte-parole d'Areva ce soir. TVO précise que le consortium Areva-Siemens, qui construit le réacteur Olkiluoto 3, lui a indiqué que "la plupart des travaux seraient terminés en 2012" avec un fonctionnement prévu "durant 2013".

Entamé en septembre 2005, le chantier d'Olkiluoto, dans le sud-ouest de la Finlande, devait initialement se terminer en avril 2009. Mais la date de démarrage de ce réacteur de dernière génération a été reportée à 5 reprises. Le dernier calendrier fourni par le groupe nucléaire Areva à son client TVO faisait état jusque-là d'une "exploitation nucléaire caractérisée par le chargement du combustible dans le réacteur" à la fin de l'année 2012.

Les retards accumulés sur le chantier ont déjà amené Areva à enregistrer pour 2,7 milliards d'euros de provisions alors que le coût de l'EPR était initialement évalué à 3 milliards d'euros. Areva et TVO se rejettent régulièrement la responsabilité du retard du chantier de l'EPR et ont entamé une procédure d'arbitrage pour trancher leur différend. Ils se réclament des milliards d'euros de dédommagements. "Nous n'avons pas des relations commerciales normales" avec Areva, avait dénoncé en septembre 2009 Timo Rajala, alors vice-président du conseil de surveillance de TVO.

Le réacteur de 3e génération (EPR) d'Olkiluoto est le premier chantier de ce type lancé dans le monde, avec celui de Flamanville (Manche), et les deux EPR de Taishan en Chine. Le démarrage du réacteur de Flamanville, construit par EDF accuse lui deux ans de retard sur son calendrier initial et son coût a été réévalué à 5 milliards d’euros, contre 3,3 milliards initialement. La présidente d'Areva, Anne Lauvergeon, a assuré mercredi lors d'une audition au Sénat que la construction des EPR chinois se ferait en moins de 4 ans (46 mois) contre plus de 7 ans en Finlande.

Quelle: Le Figaro 26. November 2010

Atommüllproblem ungelöst

Das Atommüllproblem ist nicht gelöst und die Standortsuche deshalb völlig verfrüht. Die Schweizerische Energie-Stiftung SES und die betroffenen Regionen fordern deshalb den Bundesrat auf, den Entsorgungsnachweis aufzuheben und das Verfahren neu aufzugleisen, wie an einer Medienkonferenz in Bern bekannt wurde.

Trotz erbrachtem Entsorgungsnachweis bleiben unzählige Fragen rund um die Schweizer Atommüllentsorgung unbeantwortet. Insbesondere auf die Langzeitprobleme bietet das Nagra-Konzept gemäss Medienmiteilung keine Antworten. Trotzdem will das Bundesamt für Energie (BFE) bereits nach einem geeigneten Standort suchen. Die SES und der regionale Widerstand wehren sich gegen das unsichere Nagra- Konzept und gegen das scheindemokratische BFE-Verfahren. Sie fordern den Bundesrat auf, den Entsorgungsnachweis aufzuheben und das Sachplanverfahren neu aufzugleisen.

Am 30. November geht die öffentliche Anhörung der Etappe 1 im Sachplanverfahren zu Ende. Knapp 4000 Personen haben die Möglichkeit ergriffen und Einsprache gemacht. Sie sagen: SO NICHT! und wehren sich damit gegen ein unsicheres Atommülllagerkonzept und gegen die verfrühte Standortsuche. Diese Unterschriften wurden am Montag dem Amt für Umwelt, Verkehr und Energie (UVEK) übergeben.

Das geplante Atommülllager muss für eine Million Jahre sicher sein, zum Vergleich: Den Homo sapiens gibt es seit gerade mal 150’000 Jahren. Das Lager muss also mindestens 10 Eiszeiten und zahllose Erdbeben überstehen können. Diesen Herausforderungen wird die Nagra mit ihrem Lager-Konzept jedoch nicht gerecht, denn es verfolgt noch immer ein «Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn»-Prinzip: Das Lager soll nach 50 bis 150 Jahren vollständig verschlossen und nicht mehr überwacht werden. Doch wie will die Nagra garantieren, dass die Schutzbarrieren des Lagers so lange halten, dass der Opalinuston von der Atommüll-Hitze nicht porös wird und dass keine Brüche im Gestein entstehen? Probleme wie Untergrundkonflikte (z.B. durch Geothermiebohrungen) oder die Markierung des Lagers sind ebenso wenig gelöst. Bevor also der beste Standort ausgesucht wird, muss ein ausgereiftes Konzept auf den Tisch, das Lösungen für die Langzeitprobleme beinhaltet.

Trotz dem im Jahr 2006 erbrachten Entsorgungsnachweis sind wichtige technische Fragen bis heute nicht beantwortet. Die Nagra weiss zum Beispiel weder, welches Behältermaterial benutzt, noch wie mit der Gas- und Wärmeentwicklung umgegangen werden soll. Kürzlich hat gar das Umweltministerium von Baden Württemberg verlauten lassen, dass der Deutsche Opalinuston für ein Lager nicht geeignet wäre - diese Aussage wirft natürlich neue Fragen auf.

Doch damit nicht genug: Den potenziellen Atommüll-Regionen wurde mit dem neuen Kernenergiegesetz das Vetorecht entzogen. Das heutige Partizipationsverfahren ist eine scheindemokratische Alibiübung, die den betroffenen Menschen keine echte Mitentscheidung ermöglicht. So aber ist das Verfahren nicht ergebnisoffen. Einer der sechs Regionen will man ein Lager aufzwingen – anstatt die Bevölkerung zu überzeugen. Widerstand ist damit vorprogrammiert.

Quelle: Schweizerische Energie Stiftung SES

Sonntag, 28. November 2010

Stadt Bern steigt bis 2039 aus

Die Initiative «EnergieWendeBern», die verlangte, dass der städtische Energieversorger Energie Wasser Bern bis 2030 aus der Atomenergie aussteigt, wurde vom Stimmvolk abgelehnt. Der Gegenvorschlag, der einen Ausstieg bis 2039 verlangt, wurde jedoch mit einem Ja-Stimmenanteil von 60,6 Prozent deutlich angenommen.

In Bern bekämpfte ein Komitee aus FDP, SVP und Wirtschaftsverbänden die Atomausstiegsinitiative EnergieWendeBern und den Gegenvorschlag des Stadtrats. Eingereicht hatten die Initiative 2008 mehrere Parteien des links- grünen Spektrums sowie Umweltorganisationen. Die Initiative, die den Ausstieg im Jahr 2030 verlangte, wurde mit einem Nein-Stimmenanteil von 51,2 Prozent abgelehnt. Der Gegenvorschlag wurde mit einem Ja-Stimmenanteil von 60,6 Prozent angenommen. Im Reglement des Stadtberner Energieversorgers Energie Wasser Bern (ewb) wird nund festgelegt, dass ewb spätestens ab Ende 2039 ausschliesslich Strom aus erneuerbaren Energien produziert, kauft und verkauft.

Dass die Stadt Bern aus dem Atomstrom aussteigen will, steht seit mehr als zehn Jahren in der Berner Gemeindeverfassung. Neu ist, dass der Zeitpunkt dafür festgelegt wurde. Nach der Abstimmung steht nun fest, dass ewb Atomstrom aus Gösgen bis zum Ablauf seiner Beteiligung an diesem Kernkraftwerk im Jahr 2039 verkaufen kann. Deshalb hatte der Gemeinderat den Zeitpunkt 2039 vorgeschlagen. Er und ewb argumentierten, bei Annahme der Initiative würde ewb insgesamt 351 Millionen Franken einbüssen. Dies, weil ewb neun Jahre lang die Marge zwischen dem Erwerbspreis für Strom aus Gösgen und dem Verkaufspreis verloren ginge. Genau dieses Geld brauche ewb für den Aufbau alternativer Energieproduktionsanlagen. Derzeit bezieht ewb fast 70 Prozent seines Stroms aus Kernkraftwerken.

Das Stimmvolk der Stadt Zürich beschloss vor zwei Jahren,
den Atomausstieg in die Gemeindeordnung aufzunehmen. Der Ausstieg erfolgt, wenn das Kernkraftwerk Gösgen den Betrieb einstellt. Das ist voraussichtlich 2040 der Fall. Im Kanton Schaffhausen beauftragte das Kantonsparlament letztes Jahr die Regierung, den Atomausstieg zu prüfen. Das Nidwaldner Stimmvolk lehnte kürzlich den Atomausstieg ab.

Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin ee-news.ch, Quelle: Der Bund

Österreich atom-unabhängig

Die vergangene Woche in Linz präsentierte Analyse zur Frage der Abhängigkeit Österreichs von Atomstromimporten kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Es bestand auch in den letzten Jahren keine Importabhängigkeit.
Der negative Exportsaldo wurde durch kaufmännische Maßnahmen der österreichischen Stromversorger sowie einen starken Anstieg der Pumpspeicherung verursacht.


Vorhandene Produktionskapazitäten wurden weniger genutzt, stattdessen verstärkt billiger Strom am europäischen Strommarkt eingekauft. Im Vorjahr verschwand der negative Exportsaldo fast völlig, in den nächsten Jahren wird sich Österreich sogar zu einem der bedeutendsten Stromexporteure innerhalb der EU entwickeln. „Die Aussagen zur angeblichen Importabhängigkeit Österreichs haben sich bei seriöser Betrachtung als Märchen erwiesen“, erklärt Radko Pavlovec, Anti-Atom-Beauftragter des Landes Oberösterreich. „Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass einzelne Stromversorger aufgrund ihrer falschen Einkaufspolitik beträchtliche Atomstromanteile aufweisen können“.

Die Analyse gelangt zu den folgenden Schlussfolgerungen:
* Die Benutzung des Exportsaldos zur Begründung angeblicher österreichischer Importabhängigkeit in den Vorjahren war grundlegend falsch und irreführend.
* Ab dem Jahr 2010 wird Österreich zum Netto-Stromexporteur, nach der Inbetriebnahme der aktuell im Bau befindlichen Anlagen sogar zu einem der größten Stromexporteure in der EU.
* Angesichts dieser Entwicklung gibt es keinerlei öffentliches Interesse an der Errichtung neuer Produktionskapazitäten.
* Das Klimaschutzargument für die Errichtung neuer Wasserkraftwerke geht in Leere, da gleichzeitig durch die falsche Standort- und Kapazitätswahl von Gaskraftwerksprojekten gigantische Mehremissionen an Treibhausgasen entstehen. Zusätzlich sind große Effizienzpotentiale vorhanden, deren Realisierung mit bedeutenden Emissionseinsparungen verbunden wäre.

„Das einzige öffentliche Interesse im österreichischen Energiesektor ist das Interesse an effizienter Energienutzung. Nur durch die Realisierung der enormen Effizienzpotentiale kann eine glaubwürdige Energiepolitik mit internationaler Vorbildwirkung etabliert werden“, so Pavlovec abschließend.

Quelle: temelin.com

Donnerstag, 25. November 2010

Mehr Krebs rund um Asse

In der Region um das marode deutsche Atommüll-Lager Asse (Landkreis Wolfenbüttel) ist eine erhöhte Leukämie-Rate festgestellt worden. Das berichtet "Hallo Niedersachsen" am Donnerstagabend unter Berufung auf das Niedersächsische Sozialministerium.

Bei den Männern liege die Zahl der Neuerkrankungen im Untersuchungszeitraum bei 12 - statistisch erwartbar wären 5,2. Die Untersuchung ergab außerdem, dass sich die Erkrankungsrate für Schilddrüsenkrebs bei Frauen sogar verdreifacht hat. Die Erkrankungshäufigkeit für Leukämien bei Frauen ist ebenfalls erhöht, allerdings nicht signifikant, wie das Ministerium mitteilte. "Krebs insgesamt ist für Männer und Frauen im Erwartungsbereich", erklärte ein Sprecher.

Die Registerstelle des Epidemiologischen Krebsregisters (EKN) hat den Zeitraum von 2002 bis 2009 ausgewertet. Die Ursache der Erkrankungen sei bisher unklar, so das Ministerium. Geplant sei nun eine Arbeitsgruppe, der Vertreter von Sozial- und Umweltministerium, des Landkreises Wolfenbüttel und des Bundesamtes für Strahlenschutz angehören sollen. Am kommenden Dienstag will die Arbeitsgruppe erstmals zusammenkommen.

Das Bundesamt für Strahlenschutz plant ein vorsorgliches Bevölkerungsmonitoring in der Samtgemeinde Asse. Laut Sozialministerium ist bisher nicht bekannt, welchen Einfluss Lebensalter oder Berufstätigkeit auf die Erkrankungen haben, da bisher ausschließlich anonymisiertes Datenmaterial vorliegt. Anfang kommenden Jahres will das Bundesamt für Strahlenschutz ein vorsorgliches Bevölkerungsmonitoring in der Samtgemeinde Asse anbieten, von dem man sich weitere Aufschlüsse erhofft. Die vorliegenden Daten zu den Krebsfällen werden derzeit weiter ausgewertet, heißt es. Der detaillierte Bericht des EKN soll Anfang Dezember vorliegen. Die Landesregierung werde den Landkreis Wolfenbüttel laut Ministerium in allen Bemühungen um die zügige und ergebnisoffene Ursachenabklärung unterstützen. "Transparenz ist dabei oberstes Gebot", sagte ein Ministeriumssprecher.
Reaktionen aus dem Landtag

Die Landtagsfraktionen zeigten sich betroffen von dem Ergebnissen der Studie. Sie seien ein Schock, sagte SPD-Fraktionschef Stefan Schostock. Die Diskussion um das marode Atommüll-Lager habe damit eine neue Dimension erreicht. Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel bezeichnete die Zahlen als "sehr besorgniserregend". "Ich fordere eine umgehende und tabulose Aufklärung", so Wenzel. Kurt Herzog von der Linken sagte, die Betreiber der Asse seien jetzt in der Pflicht nachzuweisen, dass die Krebsfälle nicht auf Wirkungen des Atommülls zurückzuführen sind.

Quelle: Norddeutscher Rundfunk NDR

Mittwoch, 24. November 2010

Axpo unter Druck

Rundschau vom 24.11.2010Die Rundschau des Schweizer Fernsehens hatte es aufgedeckt: AKW-Betreiberin Axpo bezieht Uran aus dem verseuchten russischen Majak. Jetzt kündigt der Stromkonzern an, selber Nachforschungen in Majak betreiben zu wollen. Die Rundschau hakt nach: Warum dauert das so lange? Der Beitrag macht auf jeden Fall klar, dass der Werbespruch vom sauberen Atomstrom ausgedient hat oder zur Lachnummer verkommt.

Quelle: Schweizer Fernsehen 24. November 2010

Die fehlenden Mädchen

Tausende von Kindern kommen wegen radioaktiver Strahlung nicht auf die Welt – allein in Deutschland und in der Schweiz. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie. Claudio Knüsli, Onkologe in Basel und Präsident der ÄrztInnen gegen Atomkrieg Schweiz *, erklärt die Ergebnisse der Untersuchung. Ein Bericht der Wochenzeitung, zu dem noch keine Stellungnahme seitens der Atomindustrie vorliegt.

WOZ: Glaubt man der vor kurzem in München publizierten Studie, sind Atomkraftwerke eigentliche Embryokiller: Sie sollen allein in Deutschland und der Schweiz die Geburt von bis zu 20 000 Mädchen verhindert haben. Kann man die Studie ernst nehmen?

Claudio Knüsli: Sehr wohl. Sie wurde von drei renommierten Wissenschaftlern – Ralf Kusmierz, Kristina Voigt und Hagen Scherb – verfasst. Voigt und Scherb arbeiten in München beim Helmholtz-Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das vom Staat getragen wird. Kusmierz ist an der Universität Bremen tätig.

Was genau haben die drei untersucht?

Sie versuchten herauszufinden, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Anzahl geborener Knaben respektive Mädchen und der Wohndistanz zum nächsten Atomkraftwerk. Dabei kamen sie zu hochsigni­fikanten Resultaten. Sie haben herausgefunden, dass in einem Umkreis von 35 Kilometern um die Atomanlagen – konkret geht es dabei um 27 Anlagen in Deutschland und 4 in der Schweiz – im Verlaufe der letzten vierzig Jahre ein Verlust von 10 000 bis 20 000 Lebendgeburten bei Mädchen nachweisbar ist.

Es wurden also bis zu 20 000 Mädchen weniger geboren, als normalerweise zu erwarten wäre?

Genau.

Und warum ist das wichtig?

Normalerweise werden 105 bis 106 Knaben pro 100 Mädchen lebend geboren. Im Verlaufe des Lebens verändert sich dieses Zahlenverhältnis – das Sex Odds genannt wird –, zum Zeitpunkt der Geburt ist es jedoch weitgehend stabil, es sei denn, Stress wie Krieg oder radioaktive Verstrahlung belasten die Bevölkerung. Vergleicht man die Sex Odds verschiedener Orte, lässt sich ziemlich einfach feststellen, ob in einer bestimmten Region Mädchen oder Jungen fehlen. Nach dem Super-GAU von Tschernobyl konnte man in jenen Gebieten Europas und Asiens, die durch die radioaktive Wolke verseucht worden waren, eine sprunghafte und anhaltende Veränderung der Sex Odds registrieren.

Dann hat also schon Tschernobyl dazu geführt, dass weniger Mädchen auf die Welt kamen?

Richtig.

Warum sind vor allem Mädchen betroffen?

Weibliche Embryonen sind offenbar noch strahlenempfindlicher als männliche. Grundsätzlich reagieren alle Embryonen äusserst strahlenempfindlich – und je kleiner sie sind, desto empfindlicher sind sie. Dies lässt sich durch letale Mutationen, also tödliche Veränderungen im Erbgut der Keimzellen oder der Embryonen erklären, bedingt durch die Verstrahlung mit radioaktiven Stoffen wie Cäsium-137. Deshalb kommt es dann zu spontanen Aborten der befruchteten Eizellen respektive der Embryonen.

Männliche Embryonen sind davon ebenfalls betroffen: Beobachtungen aus Dänemark vor und nach 1986 legen nahe, dass die radioaktive Verstrahlung durch Tschernobyl auch viele fehlende Knabengeburten verur­sacht hat. Auf etwa drei fehlende Mädchen­geburten kommt eine fehlende Knabengeburt.

Dann fehlen also insgesamt noch viel mehr Kinder?

Ja, davon muss man ausgehen. Gemäss den vorliegenden Daten fehlen – als Folge des Reaktorunfalls in Tschernobyl 1986 – in Europa und Teilen Asiens mindestens eine Million Kinder! Anders als in den USA, die von Tschernobyl kaum betroffen waren.

Zurück zur eingangs erwähnten Studie: Was bedeutet sie für die Schweiz?

Die drei Wissenschaftler haben auch die Geburten einbezogen, die es in den letzten vierzig Jahren im 35-Kilometer-Radius um die Schweizer Atomkraftwerke gab, das waren 1,78 Millionen Lebendgeburten. Auch hier lässt sich nachweisen, dass Mädchen fehlen. Hochgerechnet sind es jedes Jahr mehrere Dutzend Mädchenlebendgeburten, die bei uns verloren gehen.

Ist das hieb- und stichfest?

Die Resultate sind hochsignifikant, sie halten auch strengen statistischen Zusatztesten wie einer Sensitivitätsanalyse stand. Man kommt an diesen Resultaten der verlorenen Kinder in der Umgebung von AKWs nicht vorbei. Es muss angenommen werden, dass die radioaktive Strahlung, die die AKWs auch im Normalbetrieb abgeben, dafür verantwortlich ist. Es kann zusätzlich auch zu Erbgutveränderungen kommen, die nicht sofort tödlich wirken, sondern erst Jahre später zu schweren Erkrankungen wie Leukämie führen. Wir müssen die genetischen Veränderungen sehr ernst nehmen, denn das Erbgut – «das kostbarste Gut der Menschheit», wie dies die Weltgesundheitsorganisation einmal formuliert hat – wird nachweislich geschädigt. Eine verantwortungsbewusste Gesellschaft darf sich deshalb die folgenschwere Atomtechnologie nicht leisten. Die medizinischen Argumente sind nicht zu übersehen, deshalb müssen wir auf Atomenergie verzichten.

* Die ÄrztInnen der Organisation PSR/IPPNW Schweiz setzen sich für die weltweite Abschaffung der Atomwaffen und den Ausstieg aus der zivilen Atomtechnologie ein: www.ippnw.ch

Der vollständige Text der Studie «Is the human sex odds at birth distorted in the vicinity of nuclear facilities?» von Ralf Kusmierz, Kristina Voigt, Hagen Scherb ist in der englischen Version zu finden unter: www.tinyurl.com/scherb

Quelle: WoZ

Montag, 22. November 2010

Neue AKW in Finanzklemme

In der Schweiz sollen neue AKW gebaut werden. Investoren und Experten sehen die Nuklearenergie jedoch zunehmend als finanzielles Risiko, wie die Sonntags-Zeitung berichtet.

Bis vor kurzem sah es nach einer Renaissance der Atomenergie aus. 400 neue Meiler sollen bis 2030 weltweit gebaut werden, sagte Siemens-Chef Peter Löscher vor einem Jahr. Doch wirklich Aufwind hat die Industrie nur in China, Indien und Korea. Dort wird die Atomkraft systematisch ausgebaut. Im Westen ist sie im Rückgang. Heute sind weltweit 436 Atomreaktoren in Betrieb, acht weniger als 2002. 48 AKW sind «in Bau», 13 davon schon seit 20 Jahren.

Der Grund für die Flaute: Investoren und Energiekonzerne trauen den Gewinnaussichten immer weniger. Bauernsohn John Rowe, CEO von Exelon, einem der grössten US-Energiekonzerne mit 17 AKW, formuliert es nüchtern: «Mein Vater hielt es mit seinen Kühen wie ich mit den Kernkraftwerken. Sie sind ein Geschäft und keine Passion.» 2008 ging Rowe davon aus, dass Investitionen in neue Reaktoren zwar teuer, aber gewinnbringend seien. Heute rechnet er anders: «Wegen des tiefen Erdgaspreises sehen neue AKW in der Analyse extrem teuer aus. Deshalb haben wir unsere Pläne für ein AKW in Texas zurückgestellt», sagte Rowe kürzlich an einer Tagung des US-Hauseigentümerverbandes.

Dasselbe hat der Staat Ontario in Kanada vor einem Jahr getan. Umweltminister George Smitherman hat das Projekt für zwei neue Reaktoren sistiert. Ontario hätte 26 Milliarden Franken bezahlen müssen. «Der Preis ist um Milliarden zu hoch», so der Umweltminister. Die Notbremse gezogen hat vor einem Monat auch der US-Konzern Constellation Energy. Er wollte in Maryland drei neue Reaktoren aufstellen. Zu teuer, entschied der Konzern nun zur Überraschung aller. Immerhin hatte die Obama-Administration für das Projekt 7,5 Milliarden Dollar Kreditgarantien gesprochen. Die «Washington Post» schrieb von einem harten Schlag für die viel beschworene Renaissance der Atomenergie: «Die hohen Baukosten bringen selbst Giganten wie Constellation ans Limit.» Hart ist die Entscheidung auch für den französischen Stromkonzern Electricité de France (EDF), der die Reaktoren hätte bauen sollen. «Wir sind enttäuscht und schockiert», so EDF.

Schlechte Nachrichten auch aus Europa: Der grösste tschechische Elektrizitätskonzern CEZ hat vor drei Wochen seine Pläne für zwei neue Reaktoren in Temelin vorläufig schubladisiert. «Wir sind nicht mehr die Lieblinge des Finanzmarktes. Wir erhielten kürzlich erste negative Signale der Ratingagenturen», zitiert «Bloomberg News» eine anonyme Quelle im Konzern. Die Ratingagentur Moody's hat ihre Einschätzung der Atomindustrie in einer Studie bereits 2009 revidiert: «Moodys erwägt, jene Konzerne, die neue AKW planen, negativ zu bewerten. Auch Analysten der Grossbank Citigroup empfehlen Investitionen in neue AKW nur, wenn der Staat weitreichende Kreditgarantien übernimmt. Die finanziellen Risiken seien sonst zu gross.

Staatliche Kreditgarantien für neue AKW gibt es in der Schweiz nicht. Die Energiekonzerne müssen rund 60 Prozent der 8 bis 10 Milliarden Franken pro Werk auf dem internationalen Finanzmarkt beschaffen. Ein schwieriges Un- terfangen, meint der Schweizer Finanzexperte Kaspar Müller: «Kernkraftwerke sind aufgrund der heute verfügbaren Informationen ohne staatliche Unterstützung nicht kapitalmarktfähig und somit auch nicht in der Lage, in einem subventionsfreien Markt zu bestehen.» Müller ist unter anderem Präsident der Stiftung Ethos. Auch der ETH-Professor Massimo Filippini ist skeptisch: «Läuft die Marktöffnung in der Schweiz nach Plan, können ab 2014 nicht nur die Grossverbraucher, sondern auch die Haushalte ihre Lieferanten frei wählen.» Das verstärke das finanzielle Risiko von Investitionen in Atomstrom, denn die alternativen Energien würden kontinuierlich wettbewerbsfähiger.

Kurt Rohrbach, CEO des Energiekonzerns BKW, widerspricht: Die Finanzierung zweier neuer AKW in der Schweiz sei «kein Spaziergang», aber möglich (siehe Seite 15). Die Grossbanken CS und UBS halten sich mit Einschätzungen zurück. Sie wollen erst den AKW-Volksentscheid abwarten. «Erst dann wird es möglich, sich mit Finanzierungsfragen auseinanderzusetzen», sagt UBS-Spre- cher Andreas Kern. Ein Hauptproblem sind die langen Zeiträume. Ein neues AKW würde nach 40 Jahren Laufzeit schwarze Zahlen schreiben, sagte Giovanni Leonardi, Chef der Gösgen-Besitzerin Alpiq, kürzlich an der ETH Zürich. Ein neues AKW käme frühestens 2025 ans Netz. Gewinn brächte es ab 2065 - in 55 Jahren. Experten wagen aber nicht einmal vorauszusagen, wie der Markt 2020 aussehen wird.

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat berechnet, dass in den nächsten 20 Jahren weltweit 2Billionen Franken in Kraftwerke investiert werden müssen - das sind 100 Milliarden Franken pro Jahr. «Es entsteht eine ganz neue Energiewelt», sagte Josef Auer im Frühling in der Zeitung «Die Zeit». Auer ist bei der Deutschen Bank für die Analyse der Trends in der Energiewirtschaft zuständig. Das viele Geld werde kaum noch in die Wahrzeichen der alten Welt gesteckt werden, also in Schornsteine und Kühltürme. Nach IEA-Szenarien werden vier Fünftel der künftigen Investitionen in Ökostrom aus Wind- und Sonnenenergie sowie neue Stromnetze fliessen.

Die Entwicklung hat bereits eingesetzt: In der ersten Hälfte dieses Jahres wurden weltweit Windenergiekapazitäten in der Höhe von 16 Gigawatt installiert. Das entspricht zwölf grossen, neuen AKW (Anmerkung Atominfomedia: Das stimmt so nicht, weil Windräder nicht dauernd in Betrieb stehen, entsprechen 16 GW Windkapazitäten etwa 5 grossen AKW). Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt schätzt, dass in 20 Jahren die Offshore-Windparks in der Nordsee die grösste Energiequelle Deutschlands sein werden. Selbst der bisher horrend teure Solarstrom wird konkurrenzfähiger. Der Bau neuer AKW dagegen wird ständig teurer - um jährlich 15 Prozent, wie Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) berechnet haben.

Investoren dürfte ein weiterer Befund der MIT-Forscher interessieren. Die jetzigen Reaktortypen seien unausgereift, meinen sie, es brauche massiv mehr Forschung. Die Wissenschafter sehen Möglichkeiten für effizientere Reaktoren, eine solche Reaktor-Generation wäre frühestens 2030 baufähig. Sie soll den Brennstoff effizienter nutzen und die Menge der langlebigen Bestandteile im hochaktiven Abfall reduzieren - ein Plus für die spätere Atommüll-Entsorgung.

Die jetzt baufähige Generation - z. B. der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) - steckt in der Krise. Der EPR wird zurzeit von den französischen Firmen Areva und EDF (die an Alpiq beteiligt ist) im finnischen Olkiluoto und im französischen Flammanville gebaut. Diese Vorzeigeprojekte sind bisher ein Reinfall. In Finnland betragen die Kostenüberschreitungen 77 Prozent. An beiden Orten sind sicherheitsrelevante technische Probleme ungelöst.

Steve Thomas von der Londoner Greenwich-Universität zieht den Schluss: «Der einzige richtige Weg für Areva und Electricité de France scheint klar: Um ihre Verluste zu minimieren, müssten sie das Projekt EPR abbrechen», schreibt der Ökonom in einer neuen Studie. Atomstrom aus einem EPR sei viel zu teuer. «Es ist unwahrscheinlich, dass sich ein Energiekonzern dies leisten kann, ausser er erhält immense staatliche Subventionen und könnte alle Risiken auf die Konsumenten abwälzen.»

Der EPR ist auch für die Schweiz die wahrscheinlichste Option. Hierzulande gehören die Energiekonzerne mehrheitlich den Kantonen. Dies kommt einer Staatsgarantie gleich - das Risiko tragen am Schluss die Steuerzahler.

Quelle: Sonntagszeitung 21.11.2010 / Catherine Boss

Freitag, 19. November 2010

Atomenergie und das Klima

Kann Atomkraft einen Beitrag zur Lösung der Klimaproblematik leisten? Eine kontroverse Auseinandersetzung mit Starbesetzung blieb ohne eindeutiges Ergebnis. Und kann ein Überfluss an Erneuerbaren Energien - vor allem der solaren - dazu führen, auf weit gehende und teure Energiesparmassnahmen zu verzichten? Die Kernfragen der Energiepolitik werden derzeit neu formuliert.

Es sind gegensätzliche Anliegen: Auf der einen Seite steht die These im Raum, wir bräuchten für die Zukunft alle Optionen, die fossilen Energien zu ersetzen – also auch die Atomenergie. Auf der anderen soll plötzlich genügend Erneuerbare Energie verfügbar sein – das hiesse ja auch, es brauche Atomenergie sowieso nicht mehr. Auf beiden Ebenen widmet sich derzeit die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH-Z) dieser neu lancierten energiepolitischen Diskussion.

Beurteilen den Beitrag der Atomenergie zur Lösung der Klimaproblematik unterschiedlich: ETH-Professor Horst-M. Prasser und Michael Sailer vom Oeko-Institut in Darmstadt (Foto: Guntram Rehsche).







Gestern Abend trafen an einer gut besuchten Veranstaltung der ETH deren Nuklear-Professor Horst-M. Prasser und Michael Sailer vom Oeko-Institut Darmstadt aufeinander. Letzterer sieht das grösste Problem einer Renaissance der Atomenergie bei den Kapazitäten. Es sei kaum möglich, mehrere hundert neue AKW zu bauen, die für einen substantiellen Beitrag zum Abbau der fossilen Energienutzung und damit zu einer CO2-Minderung nötig wären. Denn es fehlten sowohl die Rohstoffe für den Bau wie vor allem die Fachleute für Planung und Betrieb solcher Anlagen. Dem hielt Prasser entgegen, dass an der ETH nun immerhin wieder 40 bis 50 Studenten in seinen Vorlesungen sässen und der Nuklear-Master-Lehrgang von einem guten Dutzend Leute besucht würden, darunter sogar Frauen.

Kontrovers ist auch die Frage, wie viel Treibhausgas die Produktion von Atomenergie verursacht. Gemäss Sailer stammen unterschiedliche Angaben von unterschiedlichen Aufbereitungsprozessen des Urans. Werde die bisher gängige Methode verwandt, so falle wegen hohen Energieaufwands mehr CO2 an, die neuere Ultrazentrifugen-Lösung verursache weniger Emissionen. Sie sei aber umgekehrt heikel, weil sie erleichtere, waffenfähiges Uran zu erzeugen. Wie überhaupt die vermehrte Anwendung von Atomenergie die Frage der Proliferation stelle – also, ob die Technologie nicht in unberufene Hände gelangt.

Alexancer Wokau, Leiter des Labors für Kernenergiesysteme, fügte bei, Atomenergie besitze bezüglich des CO2-Ausstosses genauso wie die Erneuerbaren einen deutlichen Vorteil gegenüber den Fossilen – unter diesem Aspekt spiele es also keine Rolle, ob Photovoltaik oder Atomenergie zur Anwendung gelange.. Zur CO2-Belastung der Atomenergie weist eine Übersichtsstudie darauf hin, dass die von der ETH resp. vom PSI angenommenen Werte von 6 bis 10 Gramm CO2/kWh wohl tief angesetzt sind (siehe Sovacool, B.K. «Valuing the Greenhouse Gas Emissions from Nuclear Power: A Critical Survey» in Energy Policy - www.nirs.org/climate/background/sovacool_nuclear_ghg.pdf).

In der Radio-Konsumentensendung Espresso von heute Freitag nahm die Zürcher Stadträtin Claudia Nielsen zur einer anderen, von der ETH aufgeworfenen Frage Stellung, die durchaus einen Zusammenhang mit der oben gestellten Atomfrage hat. Wird künftig so viel an Erneuerbarer Energie zur Verfügung stehen, dass sich Energiesparmassnahmen gar nicht mehr aufdrängen? Nielsen mag nicht so recht an dieses Konzept glauben, sieht aber auf jeden Fall die Möglichkeit, dass «viele Wege nach Rom führten».

Dass die Erneuerbaren ein derart immenses Potential aufweisen, hatte ETH-Professor Hansjürg Leibundgut vergangene Woche an der Baumesse in Bern in den Raum gestellt (siehe Solarmedia vom 13. November 2010). Er verknüpft in unterdessen mehreren Beispielen energetisch gut gedämmte Häuser mit einer Erdspeicherung, in die Wärme im Sommer eingelagert und im Winter über Wärmepumpen nutzbar gemacht wird – womit Gebäude autark von externer Energiezufuhr würden, vorausgesetzt auch der für den Wärmepumpenbetrieb nötige zusätzliche Strom könnte durch gebäudeeigene Solaranlagen erzeugt werden. Noch tobt eine heftige Auseinandersetzung über die konkrete Realisierbarkeit dieser Frage – unter anderem auch in einer der grossen Zürcher Wohnbaugenossenschaften, wo ein solche Anergie-Netz erstellt werden soll (weitere Angaben unter www.viagialla.ch).

Die gestellten Fragen finden insofern zusammen, als eine positive Antwort zur Möglichkeit energieautarker Gebäude die Notwendigkeit der Atomenergie abschlägig beantworten würde. Der Atomenergie erwächst an einer weiteren Front Widerstand, nämlich an wohl bedeutendsten, der wirtschaftlichen. Die Vermutung sei gewagt, Atomenergie erledige sich demnächst von allein – die Abfallproblematik allerdings bleibt erhalten.

© Solarmedia

Die Katastrophe Majak

Die russische Atomanlage Majak ist vor allem wegen des katastrophalen Unfalls von 1957 bekannt. Auch heute, klagen Umweltschützer, komme es dort regelmässig zu Zwischenfällen. Sie fordern, dass westliche Staaten die Anlage boykottieren. Auszüge aus einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. November 2010.

Die Gegend um Majak ist eines der am stärksten radioaktiv verstrahlten Gebiete der Welt. Die Plutoniumfabrik Majak (zu Deutsch: Leuchtturm) zwischen den heutigen Millionenstädten Tscheljabinsk und Jekaterinburg wurde in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg regelrecht aus dem Boden gestampft. Ohne die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen produzierten dort Tausende Arbeiter, unter ihnen viele Frauen, das Material für Stalins Atombomben. Von Beginn an wurden flüssige radioaktive Abfälle in die umliegenden Gewässer, auch in den Fluss Tetscha, geleitet (im Bild die Sperrzone um die Plutioniumfabrik - Foto: Greenpeace).

Im September 1957 kam es auf dem Gelände zum bis dahin grössten Unfall der Geschichte in einer kerntechnischen Anlage. Ein Betontank mit hochradioaktiver Flüssigkeit explodierte. Sein Kühlsystem war ausgefallen, ein schadhaftes Kontrollgerät hatte nicht rechtzeitig vor der Katastrophe gewarnt. Die freigesetzte radioaktive Wolke stieg in bis zu 1000 Meter Höhe und verseuchte einen etwa 8 Kilometer breiten und 110 Kilometer langen Streifen Land östlich des Betriebsgeländes.

Auf Waldboden und Äckern verblieben Strontium-90, ein Radionuklid, das sich in Knochen und Zähnen des Menschen einlagert, und Cäsium-137, ein radioaktives Isotop mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren. Die Bewohner der umliegenden Dörfer und Siedlungen, die ohnehin jahrelang radioaktiv verseuchtes Wasser getrunken hatten, wurden, wenn auch nicht unbedingt systematisch, umgesiedelt. Bis in die siebziger Jahre hinein konnte die Sowjetunion den Fall vertuschen, offiziell wurde er erst 1989 bekanntgemacht. Das Gebiet, einschliesslich der 80 000-Einwohner-Stadt Osjorsk, in der vor allem die Mitarbeiter der Anlage leben, ist bis heute geschlossen und nur mit einer Sondergenehmigung zugänglich.

Trotz dem Zwischenfall läuft die Anlage Majak bis heute fast ohne Unterbrechung weiter. Auf dem Höhepunkt arbeiteten dort 25 000 Menschen an zehn Reaktoren. Heute sind noch zwei Reaktoren in Betrieb. Majak produziert Isotope für Medizin und Wissenschaft, vor allem aber werden dort abgebrannte Brennstäbe und Atommüll aufbereitet. Länder wie die Ukraine, Bulgarien und Ungarn exportieren ihren Atommüll in den Ural.

Im September hatte der Schweizer Energiekonzern Axpo erklärt, dass ein Teil des Urans in den Brennstäben für Schweizer Atomkraftwerke ebenfalls aus den russischen Wiederaufbereitungsanlagen in Majak stammt. Axpo verteidigte sich gegen Kritik mit dem Argument, dass die russische Aufbereitungsanlage «heute internationale Umweltstandards erfüllt». Umweltorganisationen wie Greenpeace und auch örtliche Organisationen aus Tscheljabinsk sind hingegen davon überzeugt, dass weiterhin flüssiger radioaktiver Restmüll aus der Aufbereitung in den Fluss Tetscha eingeleitet werde. «Bis zu fünf Millionen Kubikmeter solchen flüssigen Mülles werden jährlich eingeleitet», sagt Wladimir Tschuprow, Energieexperte von Greenpeace Russland. Wissenschafter hätten nachgewiesen, dass die Radioaktivität im Fluss seit 2001 angestiegen sei.

Die Technik der Anlage entspreche zwar im Grunde westlichen Standards, so der Umweltschützer, es fehle aber an der Sorgfalt der Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen. So komme es regelmässig zu Zwischenfällen, bei denen radioaktiver Müll austrete. Im Jahr 2000 sei das Werk nur knapp einem Unglück entronnen. Wegen eines Stromausfalls in der gesamten Anlage setzte die Kühlung aus. Erst nach 25 Minuten sei es den Technikern gelungen, den Dieselgenerator für solche Notfälle in Gang zu setzen. «Hätte es zehn Minuten länger gedauert, hätte sich das Unglück von 1957 wiederholt», sagt Tschuprow.

Die Leiterin der Tschaljabinsker Organisation Bewegung für Atomsicherheit, Natalja Mironowa, beklagt die unzumutbaren Lebensumstände der Anwohner. Viele lebten in den verstrahlten Regionen und nähmen regelmässig verseuchte Lebensmittel zu sich. Im Jahr 2008, so die Umweltschützerin, hätten die Neuerkrankungen an Krebs bei Kindern um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Staaten, die gleichwohl ihren Atommüll dorthin exportierten, so ist Mironowa überzeugt, trügen eine moralische Verantwortung.

Umweltorganisationen fordern die sofortige Schliessung der Anlage in Majak. Auch in Deutschland hatten Opposition und Atomkraftgegner die Ausführung der Castoren nach Russland als billige Lösung auf Kosten der Sicherheit kritisiert. Die Bundesregierung teilte daraufhin mit, die Sicherheitsvorkehrungen an Ort und Stelle selbst noch einmal gründlich prüfen zu wollen. Der Physiker Peter Jacob vom Helmholtz-Zentrum München teilt die Sorge der russischen Umweltaktivisten nicht ganz. Er hat in einer Langzeitstudie die Spätschäden der Strahlenbelastung in den fünfziger und sechziger Jahren untersucht und zu diesem Zweck die Gesundheitsdaten von 30 000 Einwohnern von 41 Orten entlang des Flusses Tetscha ausgewertet. Bis zum Jahr 2003 wurden bei ihnen insgesamt 2000 Fälle von Krebserkrankungen diagnostiziert. Auf die Strahlenbelastung waren 50 Fälle zurückzuführen. Die heutige Belastung sei mit der früheren nicht zu vergleichen. «Ich gehe davon aus, dass die Exposition für die Anwohner heute gering ist», sagt Jacob. Auch für die Arbeiter gälten heute dieselben Grenzwerte wie in Westeuropa.

Die Atomkraftgegner aus Tscheljabinsk allerdings fürchten, dass die Castoren aus Deutschland nur ein erster Versuchsballon sein sollen und dass Majak demnächst zur atomaren Müllkippe Europas werden könnte. Bis anhin ist es in Russland gesetzlich verboten, radioaktive Abfälle aus dem Ausland zu importieren. Diese Bestimmung umgeht die russische Atomenergiebehörde, indem sie die Abfälle als wertvollen Rohstoff deklariert und für einen symbolischen Preis einkauft. In Bezug auf den Umgang mit Atommüll ist die Gesetzeslage widersprüchlich und unklar. Derzeit berät das russische Parlament, die Duma, über einen Gesetzentwurf zur Handhabung von Atommüll, welcher der russischen Atombehörde Rosatom freie Hand für Import und Endlagerung gäbe. Da das Problem der Endlagerung von abgebrannten atomaren Brennstoffen in keinem Land der Welt gelöst sei, so Umweltschützerin Mironowa, seien auf Kosten der Bevölkerung rund um Majak grosse Geschäfte zu machen.

Quelle: NZZ

Mittwoch, 17. November 2010

Frankreich und die 4.Generation

Die Areva und das französische Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives (CEA) haben am 9. November 2010 eine Vereinbarung über die erste Projektphase für den Prototypen eines natriumgekühlten Reaktors der vierten Generation unterzeichnet.

Astrid ist das Konzept eines natriumgekühlten Reaktors der vierten Generation mit einer Leistung von rund 600 MW. Die erste Projektphase soll 2012 abgeschlossen sein. Laut Areva und CEA ebnet das Abkommen den Weg, damit die französische Regierung 2017 entscheiden kann, ob mit dem Bau eines Demonstrationsreaktors weitergefahren werden kann.

Mit der Vereinbarung übernimmt das CEA die Projektführung sowie die Auslegung von Reaktorkern und Brennstoff des Astrid. Die Areva ist für die Ausgestaltung des nuklearen Dampferzeugersystems sowie der nuklearen Hilfs- und Leittechnik verantwortlich. Weitere Partnerschaften für andere technische Arbeitspakete wie Tiefbau oder Turbine werden derzeit eingerichtet. Im Rahmen des am 9. September 2010 abgeschlossenen Abkommens zwischen der Regierung und dem CEA, stehen diesem für die Entwicklung des Astrid bis 2017 EUR 651,6 Mio. (CHF 872 Mio.) innerhalb des Programms «Kernenergie von morgen» zu.

Quelle: Nuklearforum

Dienstag, 16. November 2010

Dummheiten der Atomenergie

Es ist angesichts der Gutachten zur nuklearen Sicherheit dreier neuer AKW-Projekte(siehe Atominfomedia vom 15. November 2010) wieder einmal Zeit, die grössten Dummheiten des Beharrens auf Atomenergie aufzuführen - keinesfalls abschliessend :-)

- Atomenergie schadet der und verunstaltet die Umwelt beim Abbau von Uran wie bei der Wiederaufbereitung von Brennstäben (Niger, Majak in Russland)

- sie setzt uns alle unnötigen und gewaltigen Gefahren aus - seis durch Betriebsunfälle (selten aber dann um so schlimmer) oder durch Terrorakte und Staatsterrorismus (Bau von Atomwaffen durch Pakistan, Iran, Nordkorea und China)

- sie stärkt die Monopole der grossen Energieunternehmen und Anlagenbauer und schröpft uns alle (Strompreise sinken gar nicht trotz des scheinbar so billigen Atomstroms)

- sie untergräbt die Demokratie, weil zum Schutz vor Atomgefahren unheimliche Sicherungsmassnahmen und finanzielle Abenteuer eingegangen werden müssen

- sie hinterlässt künftigen Generationen eine gewaltige Sauerei, nämlich strahlendes und vergiftetes Material - von dem wir weder wissen, wohin damit noch wie lange die Gefahr anhält - auf jeden Fall viel länger, als die Geschichte unserer menschlichen Hochkultur bislang gedauert hat - also viel länger als 10'000 Jahre

- sie setzt uns einer Zerreissprobe aus, die angesichts der weit fort geschrittenen Technologien der Alternativen schlicht nicht nötig ist!

© Atominfomedia

Montag, 15. November 2010

Blankocheck für neue AKW

Die Atom-Sicherheitsbehörde ENSI handle fahrlässig: Sie hat in einem Bericht bestätigt, dass die von der Stromwirtschaft gewünschten neuen Riesenreaktoren sicher sein sollen. Dies obwohl es den von den Stromkonzernen ALPIQ, BKW und AXPO favorisierten EPR-Druckwasserreaktor noch gar nicht gibt! Eine Stellungnahme der Schweizerischen Energiestiftung (SES).

Der finnische EPR-Prototyp ist ein ökonomischer Albtraum, hält die SES fest. Er weist über 3000 Baumängel auf und hat anscheinend einen Konstruktionsfehler im Sicherheitssystem. Dies zumindest bestätigt eine neue Untersuchung der Universität Greenwich, England (Link unten).

Gesetzliche Anforderungen seien nicht erfüllt,
hält die SES weiter fest: Die Schweizerische Energie-Stiftung SES ist der Meinung, dass die gesetzlichen Anforderungen an eine Rahmenbewilligung (Kernenergiegesetz Art. 13/14) nicht erfüllt werden können. «Weder hat das ENSI Erfahrungen mit der Stilllegung von AKW, noch ist das Atommüllproblem technisch oder politisch gelöst», sagt Jürg Buri, SES Geschäftsleiter. Was auch nicht ausgeschlossen werden kann, ist, dass die «äussere Sicherheit unseres Landes» damit nicht berührt würde. Weiter akzeptiert die SES den «Zweck der Anlagen» im Sinne der Landesversorgung nicht. Dieser Zweck ist nicht gegeben(vgl. Anhang SES-Faktenblatt).

Es geht auch ohne neue AKW: Gemäss Energieperspektiven 2035 des Bundesamtes für Energie BFE kann die Schweiz ihre Stromversorgung ohne neue Atomkraftwerke sicherstellen. Eine Diskussion über die Unsicherheit neuer AKW ist also überflüssig.

» zur Medienmitteilung: www.energiestiftung.ch/aktuell/archive/2010/11/15/ensi-blankocheck-fuer-neue-akw.html

» zur Studie «The EPR in Crisis»: www.energiestiftung.ch/files/textdateien/aktuell/medienmitteilungen/2010-11-03_Stephen_Thomas_The%20EPR%20in%20crisis.pdf

Quelle: SES

AKW verlieren Stromkundschaft

Durch die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke erhalten die Ökostromanbieter in Deutschland deutlichen Zulauf. Durch Preiserhöhung der Atomkonzerne sind Ökoanbieter häufig sogar günstiger.

Die Atompolitik der Bundesregierung treibt die Kunden zu den Ökostromanbietern. Die Verlängerung der Atomlaufzeiten habe dazu geführt, dass sich die Zahl der Neukunden verdoppelt habe, heißt es aktuell beim Ökostromanbieter Naturstrom. "Es ist eine Abstimmung mit den Füßen" sagt Geschäftsführer Oliver Hummel. Der Anbieter aus Düsseldorf versorgt inzwischen fast 100.000 Kunden. Auch bei den Elektrizitätswerken Schönau (EWS) hat der Zulauf deutlich angezogen, seit die Bundesregierung in Verhandlungen mit den Atomkonzernen den Atomkonsens von rot-grün kassiert hat. "Seit September haben sich die Zahlen der Neukunden verdreifacht", sagt Geschäftsführerin Ursula Sladek. Mit aktuell über 98.000 Stromkunden liegen die EWS etwa gleich auf mit Naturstrom (im Bild das AKW Grundremmingen).

Auch Greenpeace Energy konnte im Herbst eine Verdopplung der Neukundenzahlen verzeichnen. Doch inzwischen habe sich der Zugang schon fast wieder auf den normalen Wert eingependelt, sagt Unternehmenssprecher Marcel Keiffenheim. Ob der Castor-Transport vom Wochenende erneut die Wechselrate erhöht, werde man in den nächsten Tagen sehen. Greenpeace Energy versorgt derzeit etwa 95.000 Kunden. Der größte unter den vier unabhängigen Anbietern, das Hamburger Unternehmen Lichtblick, spürt die stärkere Wechselbereitschaft hingegen derzeit nicht. Allerdings sei deutlich erkennbar, dass das Bedürfnis der Stromkunden an Diskussion über die Energiepolitik der Bundesregierung gewachsen ist: "Unsere Vertriebsleute spüren den Unmut der Bürger", sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Lichtblick versorgt derzeit 580.000 Kunden.

Neben dem politischen Argument, dürfte zum neuen Jahr auch der Preis mehr den je für die Ökostromer sprechen. Denn ausgerechnet die Anbieter von Atomstrom erhöhen zum Teil massiv die Preise. Die Energie Baden-Württemberg, EnBW, hat soeben angekündigt, ihren Preis für Haushaltskunden ab Januar um rund zehn Prozent zu erhöhen. Naturstrom hat unterdessen erklärt, aktuell gar nicht zu erhöhen, die EWS werden deutlich unterhalb des EnBW-Aufschlags bleiben. So läßt sich an vielen Orten mit dem Wechsel zu Ökostrom sogar Geld sparen.

Quelle: Klimaretter.Info / Bernward Janzing

Dienstag, 9. November 2010

Störfälle in den USA

Ein explodierter Transformator, ein Leck in einer Kühlleitung: Binnen einer Stunde mussten gleich zwei Atomkraftwerke in den USA abgeschaltet werden. Eine Gefahr für die Bevölkerung habe nicht bestanden, teilte die US-Atomaufsicht mit - das Zusammentreffen der Ereignisse sei "reiner Zufall", wie Spiegel Online berichtet.

In den USA sind in der Nacht zu Montag gleich zwei Atomreaktoren abgeschaltet worden - und das binnen einer Stunde. Die Explosion eines Transformators in Buchanan nördlich von New York City löste die Notabschaltung des Kraftwerks Indian Point 2 (siehe Bild) aus. Nach Angaben eines Sprechers wurde dabei niemand verletzt. Es habe auch keinen Brand gegeben. Der benachbarte Reaktor Indian Point 3 arbeite wie gewohnt.

Kurz danach ging ein Kraftwerk des Konzerns Entergy vom Netz: Arbeiter hatten in dem Reaktor in Vernon (US-Bundesstaat Vermont) den Austritt radioaktiven Wassers aus einer undichten Leitung bemerkt. Daraufhin sei beschlossen worden, das AKW abzuschalten, um die notwendigen Reparaturen durchzuführen. Die US-Atomaufsicht bezeichnete das zeitliche Zusammenfallen der beiden Pannen als "kompletten Zufall". Die Ereignisse hätten nichts miteinander zu tun. Zudem habe keine Gefahr für die Bevölkerung bestanden.

Nach Angaben von Larry Smith, Sprecher des AKW in Vernon, werde es etwa 13 Stunden dauern, bis sich der Reaktor ausreichend abgekühlt habe, um die notwendigen Reparaturen vornehmen zu können. Die Arbeiten würden am Montag beginnen, sagte Smith. Die Ursache für das Leck sei zunächst unklar gewesen. Es sei am frühen Sonntag bei Routinearbeiten entdeckt worden. Etwa 60 Tropfen Wasser pro Minute seien aus einer 60 Zentimeter dicken Leitung ausgetreten, die Teil des Reaktorkühlsystems sei. Man habe das austretende Wasser mit Hilfe einer Pumpe gesammelt und wieder in das System eingeführt, erklärte Smith.

Die Reparaturen und die AKW-Abschaltung würden von der US-Atomaufsicht überwacht, teilte ein Sprecher der Behörde mit. Das Wasser habe eine niedrige Strahlungsintensität. "Die Werte sind so gering, dass sie niemandem schaden können", erklärte der Sprecher. Bedenken bezüglich der Gesundheit oder Sicherheit gebe es derzeit nicht. Unterdessen bleibt der Reaktor Indian Point 2 bis auf weiteres abgeschaltet. Man wolle erst die Ursache für die Explosion des Transformators herausfinden, sagte der Sprecher der Anlage, Jim Steets.

Quelle: Spiegel Online

Castor-Transport am Ziel

Rund 92 Stunden vom Start bis zum Ziel: Die Castoren sind in Gorleben eingetroffen, der langwierigste Atommüll-Transport in der Geschichte ist zu Ende. Der Polizeieinsatz am Morgen lief friedlich und effizient. AKW-Gegner bejubeln die massiven Proteste und rufen die Merkel-Regierung zum Umdenken auf.

Die letzte Etappe eines Marathon-Transports ist zu Ende: Nach rund 92 Stunden haben die Tieflader mit den insgesamt elf Castor-Behältern voller hoch radioaktivem Atommüll das Zwischenlager Gorleben am Dienstagmorgen erreicht. Die Tore des niedersächsischen Zwischenlagers sind wieder geschlossen. Um 9.52 Uhr hatte der letzte Tieflader die Einfahrt passiert. Gut eine Stunde zuvor hatte sich der Konvoi der Schwerlaster vom Verladebahnhof in Dannenberg auf den Weg gemacht. Massive Polizeikräfte sicherten den 20 Kilometer langen Transport auf der Straße. In langsamem Tempo fuhren die Tieflader mit den weißen Castor-Behältern durch die anliegenden Dörfer.

Der Transport von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben brauchte deutlich länger als alle seine elf Vorgänger seit 1995. Noch nie war der Widerstand gegen den Castor so heftig wie in diesem Jahr. Die Wut der Menschen richtet sich auch gegen die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke und die weitere Erkundung des Salzstocks Gorleben als Endlager. Am frühen Dienstagmorgen hatte die Polizei die Räumung der Zufahrtsstraße beendet, auf der zeitweise bis zu 4000 Menschen fast 45 Stunden auf Strohsäcken und Iso-Matten ausgeharrt hatten. Aktivisten der Umweltorganisation Robin Wood, die sich an Seilen über die Zufahrtsstraße gehängt hatten, wurden von der Polizei heruntergeholt. Der Einsatz dauerte mehrere Stunden.

Polizisten trugen gegen 3.25 Uhr die ersten Demonstranten weg (siehe Bild), teilten die Organisatoren von der Kampagne "X-tausendmal quer" mit. "Wir möchten ihnen nicht wehtun", sagt ein Polizist über Lautsprecher, als die Räumung begann. Tatsächlich verlief der Einsatz zunächst ruhig und besonnen, die Beamten trugen die Aktivisten vorsichtig ein paar Meter von der Straße in Richtung Wald und bauten Absperrgitter auf. Gleichzeitig gelang es der Polizei, eine Beton-Pyramide vor Gorleben, an die sich Bauern gekettet hatten, von der Straße zu räumen. Die Pyramide war eines der drei größten Hindernisse, um den radioaktiven Abfall vom Verladebahnhof nahe Dannenberg über die Straße nach Gorleben zu transportieren.

Ein weiteres Problem war eine Lastwagen-Blockade der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Dannenberg. Dort wurden am Dienstagmorgen laut Polizeiangaben zwei Umweltschützer aus ihrer Verankerung befreit. Die beiden waren mit einem Arm und beiden Beinen in einem Betonblock fixiert. Mehrere Spezialisten der Polizei versuchten seit Montagabend, den Protest mit Spezialwerkzeug zu beenden. Den Umweltschützern war es gelungen, die Transportstrecke mit einem als Getränkelastwagen getarnten Fahrzeug zu blockieren.

Führende Atomkraftgegner feierten die massiven Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben als großen Erfolg. "Es ist echt bewundernswert, mit welchem Mut und Enthusiasmus sich so viele Menschen an den Sitzblockaden beteiligt haben", sagte die langjährige Gorleben-Aktivistin und Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms nach der Räumung der Sitzblockade vor dem Atommüll-Zwischenlager. "Die Proteste bringen zum Ausdruck, was die Mehrheit der Bevölkerung denkt", sagte sie und rief die Bundesregierung zu einer Abkehr von ihrer Atompolitik auf. "Es muss eine Neubesinnung geben", besonders Gorleben sei "nicht der richtige Standort" für ein Atommüll-Endlager, sagte Harms weiter. Polizeieinsätze, um die bisherige Atompolitik durchzusetzen, seien angesichts der Proteste in diesem Jahr an ihre Grenzen gelangt. "Man kann nicht 20.000 Polizisten dauerhaft gegen junge Leute in Marsch setzen."

Der Sprecher der Organisation "ausgestrahlt", Jochen Stay, geht von einer Stärkung der Anti-AKW-Bewegung aus. "Die Leute gehen von hier mit einer unheimlichen Motivation weg", sagte Stay in Gorleben. Zwar sei eine Räumung nie etwas erfreuliches, "aber es fühlt sich nicht frustrierend oder nach Niederlage an", sagte Stay mit Blick auf die rund 45-stündige Sitzblockade von zeitweise mehr als 4000 Atomkraftgegnern vor dem Zwischenlager Gorleben.

Quelle: Spiegel Online

Sonntag, 7. November 2010

Deutsches Anti-Atom-Spektakel

So ein Anti-Atom-Spektakel hat Deutschland lange nicht gesehen. Im Wendland spielen Polizisten und die Gegner der Castor-Transporte Katz und Maus. Die Strecke wird an vielen Stellen blockiert, Schotterer greifen immer wieder an - und mitten im Wald finden wilde Verfolgungsjagden statt.

Später Sonntagnachmittag in Lüneburg. Der Zug ist da. Endlich, werden sich die Polizisten denken. Er hat schon zehn Stunden Verspätung, er ist wieder mal aufgehalten worden, hinter Celle, weil sich Castor-Gegner an die Gleise gekettet haben - zwei Stunden hat das gekostet. Jetzt geht es weiter nach Dannenberg, die letzten 50 Kilometer auf dem Gleis. Die härteste Strecke, bevor die Castor-Behälter mit ihrer strahlenden Fracht auf Lkw umgeladen werden und es nach Gorleben weitergeht. Den Polizisten und den Anti-Atom-Aktivisten stehen heiße Stunden bevor. Rund 2000 Menschen blockieren bei Harlingen die Gleisstrecke Lüneburg-Dannenberg. Viele liegen mit Wärmedecken auf den Schienen. Andere tanzen, um sich warmzuhalten. Ein Mann rennt an der Böschung entlang, verfolgt von zwei Polizisten. Es gelingt ihm, auf einen Baum zu klettern, bevor die Beamten bei ihm sind. Schnell ist er weit oben. Jubel brandet auf. Dann Sprechchöre: "Abschalten! Abschalten!"

Landwirte eilen der Gleisblockade zur Hilfe. Dutzende blockieren mit ihren Treckern praktisch sämtliche Einfahrtstraßen nach Dannenberg. Damit wollen sie verhindern, dass die Polizei Einheiten zu Gleisabschnitten verlegt, wo Atomgegner die Bahnstrecke zu besetzen versuchen. Im Harlinger Ortskern stehen insgesamt zehn Traktoren ineinander verkeilt an zwei Kreuzungen - bis die Polizei die Blockade auflöst. Sie hat sich Generalschlüssel für alle Traktormodelle besorgt. Nach der Räumung der Kreuzung kann sie mehr Fahrzeuge losschicken.

Was in diesen Stunden im Wendland passiert, ist ein seit langem nicht mehr gesehenes Katz-und-Maus-Spiel zwischen der Polizei und den Aktivisten. Hektik, Tricks, Gewalt - und immer wieder Durchbrüche der Protestierenden. Oder angebliche Durchbrüche? Am Abend wird die Information gestreut, Schotterer hätten in der Nähe von Pommoissel rund 150 Meter Gleisbett so zerstört, dass der Transport nicht problemlos durchkommen dürfte. Andere Aktivisten sagen, das sei nicht gelungen. Schottern ist der Protestbegriff dieses Castortransports; gemeint ist, dass Aktivisten Schottersteine aus dem Gleisbett graben, um den Zug zum Stopp zu zwingen.

Die Polizisten wehren die Protestierenden durchaus auch mit harten Mitteln ab. SPIEGEL ONLINE hat einen Einsatz am Vormittag bei Govelin miterlebt, in dem Schotterer erfolgreich abgewehrt worden sind - ein Protokoll:

Eine Schottergruppe aus mehr als tausend Aktivisten sammelt sich um acht Uhr in Govelin, einer Straße mit drei Häusern in der Nähe der Bahngleise. Viele tragen Regenjacken und haben einen Schal als Mundschutz dabei, die meisten eine Mütze. Sie wollen friedlich auf die Schiene gelangen, es ist keine uniform schwarz gekleidete Truppe gewaltbereiter Linksextremisten.

Im Laufschritt geht es mehrere Kilometer durch den Wald, immer den bunten Fahnen hinterher. Ein kleiner Polizeitrupp begleitet die Gruppe. "Da vorne an den Buchen rechts", sagt jemand über ein Megafon. "Du, Hippie", ruft ein Mädchen mit schwarzer Sonnebrille zurück, "was sind denn bitte Buchen?" Es geht auf einen Hügel hinauf. Diejenigen, die oben ankommen, jubeln, als sie die vielen hundert Demonstranten hinter sich sehen.

Auf dem Weg vor den Bahngleisen warten schon die Polizisten. Sie haben sich aufgereiht, die Visiere der Helme sind heruntergeklappt, die Hände umklammern Schlagstöcke. Als die ersten hundert Aktivisten auf die Strecke stürmen wollen, laufen ihnen Polizisten mit erhobenem Knüppel entgegen und prügeln drauf los.

"Dachs", "Dachs", ruft Anna Mahler. Es ist die Losung der Journalistengruppe, die von der 23-jährige Politikstudentin durch den Wald gelotst wird. Sie organisiert, dass Fotografen und Kameramänner zur Stelle sind, wenn es knallt. Dass man die Presse so einbettet, ist ein Novum in der traditionell argwöhnischen linken Szene. Mahler, die sich zur "Interventionistischen Linken" zählt, soll vermitteln, wenn es doch mal Stress geben sollte. Nun stehen Journalisten zwischen den Demonstranten und der Polizei, die nicht immer ganz genau hinschaut.

Aus dem Wald strömen immer mehr Aktivisten zu dem Waldweg, verteilen sich nach links und rechts. Sie starten einen zweiten Versuch, gehen einfach los - die Polizei schießt mit Reizgaskartuschen, setzt Pfefferspray und einen Wasserwerfer ein. Gasschwaden ziehen durch den Wald, mehrere Menschen müssen sich übergeben.

Viele der friedlichen Demonstranten sind froh, dass die Presse das rabiate Durchgreifen dokumentiert. Die Polizei rät dem ZDF im Pressezentrum in Dannenberg, das eigene Reporterteam doch lieber aus dem Wald abzuziehen - nur zur eigenen Sicherheit, versteht sich.

Weichen die Schotterer zurück, rücken Polizisten nach. Sie drängen die Demonstranten weit in den Wald zurück, wer nicht schnell genug ist, wird geschlagen und geschubst. Kampagnensprecher Tadzio Müller trifft ein Schlagstock mitten im Lauf am Knie. Er sackt weg, das Gesicht schmerzverzerrt.

Die Taktik der Polizei geht auf. Die Demonstranten werden immer weiter zerstreut. Ständig müssen sich die Schotterer neu sammeln, stehen aber so großflächig, dass an eine konzentrierte Aktion nicht zu denken ist. Die Sache zieht sich hin - während aus kleineren Gruppen Delegierte zu Sitzungen geschickt werden, in denen basisdemokratisch das weitere Vorgehen besprochen wird.

Die anderen stehen, hocken und sitzen im feuchten, kalten Wald. Einige waschen sich Pfefferspray aus den Augen. Ein Hubschrauber kreist direkt über der Szene, wirbelt Laubblätter in die Luft. Es klappt einfach nicht, auch nicht beim nächsten und übernächsten Versuch. Mit Pferden, die von Polizisten in die Menge geritten werden, und Schlagstockeinsatz wird die Gruppe wieder abgewehrt. Zwar schaffen es einige kleine Gruppen immer wieder mal ans Gleisbett, doch schottern können sie dann nur kurze Zeit - bis sie von den Einsatzkräften wieder verdrängt werden.

Mittags ist klar: Für eine der Gruppen fällt das Schottern erst mal aus, zu massiv ist der Polizeieinsatz, zu gut ist die Strecke gesichert. "Trotzdem ein Erfolg", sagt Müller, "auch wenn ich nichts schönreden will." Schließlich sei der Protest mit mindestens zweitausend Teilnehmern riesig gewesen.

Quelle: Spiegel Online

Samstag, 6. November 2010

Bahnstrecke besetzt

Ein mit Atommüll beladener Castor-Zug soll heute von Frankreich nach Deutschland fahren. Demonstranten versuchen dies mit einem Grossaufgebot von Demonstranten sowie Durchfahrtsblockaden zu verhindern.

Wollen den Atommüll-Transport nicht durchlassen: Demonstranten in Deutschland tragen die Masken von Guido Westerwelle (links) und Angela Merkel (rechts).


Mehrere hundert Atomkraftgegner haben am Samstag in Berg in Rheinland-Pfalz die Bahnstrecke unmittelbar hinter der französisch-deutschen Grenze besetzt, um die am Mittag geplante Durchfahrt des Castor-Zugs mit Atommüll zu blockieren. Im deutschen Bundesland Niedersachsen hat am Samstagvormittag die Anreise von Zehntausenden von Atomkraftgegnern zur bisher grössten Demonstration gegen die Castor-Transporte nach Gorleben begonnen. Nach Angaben eines Polizeisprechers in Lüneburg blieb die Lage nach einer kurzzeitigen Blockade einer Bundesstrasse in der Nacht und am Morgen zunächst «absolut friedlich».

Gegen 13 Uhr sollte in Dannenberg eine Grosskundgebung gegen den Castor-Transport beginnen, zu der mindestens 30'000 Menschen erwartet wurden. Die Polizei ist mit rund 17.000 Beamten im Einsatz. Der aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague kommende Zug mit elf Castor-Behältern mit hoch radioaktivem Müll aus deutschen Kernkraftwerken soll am Mittag die deutsch-französische Grenze passieren.

In Niedersachsen wird er am Sonntag erwartet. Der Protest gegen die Transporte richtet sich immer auch gegen die weitere Erkundung des Gorlebener Salzstocks auf Eignung als Endlager für den stark strahlenden Atommüll. An den Demonstrationen teilnehmen wollten auch führende Politiker von Grünen und Linken. Das französische Netzwerk «Sortir du Nucléaire» nahm nach eigenen Angaben Messungen der vom Transport ausstrahlenden Radioaktivität vor. Sie sei in sechs Metern Abstand von den Castor-Behältern «20 Mal höher als die natürliche Radioaktivität», teilte die Organisation mit. Der Umweltschutzorganisation Greenpeace zufolge ist die Radioaktivität des Mülls doppelt so hoch wie jene, die bei der Katastrophe im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl freigesetzt wurde. Die Ladung strahle deutlich stärker als bei früheren Transporten, weil die Brennelemente länger in deutschen Atomkraftwerken genutzt worden seien.

Quellen: Diverse Nachrichtenagenturen

Atomar oder Erneuerbar?

Am 28. Oktober lagen auf dem leeren Platz des deutschen Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer Blumen. Der 66-jährige Kämpfer für die 100%ige solare Energiewende war wenige Tage zuvor gestorben. Am 28. Oktober aber beschloss die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag längere Laufzeiten für die 17 deutschen AKW. Scheers wichtigste politische Tat war das Erneuerbare-Energie-Gesetz im Jahr 2.000, mit dessen Hilfe in den letzten Jahren ein weltweit beispielloser Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland gelungen ist. Ein Kommentar des Publizisten Franz Alt.

Der Erfolg Scheers wird nun künftig durch längere AKW-Laufzeiten gefährdet. Denn das derzeitige Tempo bei den Erneuerbaren macht Atomstrom bald überflüssig. Aber jedes Jahr längere Laufzeit der Atomkraft bedeutet faktisch eine Drosselung für die Ökoenergien. Beides zusammen geht schon mittelfristig nicht mehr. 2009 hat Deutschland 20 % seiner Stromproduktion ins Ausland exportiert. Mit dem Schlagwort von den AKW als „Brückentechnologie“ hin zu den Erneuerbaren wird das gesamte Energiekonzept der Bundesregierung vernebelt. Die Erneuerbaren Energien, also Sonne, Wind, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie, können schon in 20 Jahren zu 100 % alle alten Energieträger ersetzen. Das hat Hermann Scheer in seinem letzten Buch „Der energethische Imperativ – 100 % jetzt – Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist“ überzeugend aufgezeigt.

Es ist gut möglich, schon bis 2020 zwei Drittel des Stroms in Deutschland nachhaltig zu erzeugen, wenn das Ausbau-Tempo von 2010 beibehalten würde. Im 20. Jahrhundert haben die Franzosen binnen 12 Jahren ihren Anteil des Atomstroms von null auf 70% hochgefahren. Und das soll bei den Erneuerbaren Energien nicht möglich sein? Aber genau das ist nicht im Sinn der alten Energiewirtschaft und die Bundesregierung ist ihr Erfüllungsgehilfe.

Schwarz-gelb hat mit seinen Energiebeschlüssen wider alle Vernunft dafür gesorgt, dass in Berlin eine „Sonnenfinsternis“ (TAZ) herrscht – zumindest vorübergehend. Der brutale Versuch, die alte Energiewirtschaft und ihr Quasi-Monopol zu retten, hat den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) dazu getrieben, sich am 28. Oktober der Stimme zu enthalten und seiner Regierung „unordentliche Gesetzgebungsarbeit“ vorzuwerfen. Darüber hinaus haben sechs Abgeordnete der Regierungsfraktionen gegen das Energie-Konzept ihrer eigenen Regierung gestimmt. Dieses Gesetz erhielt keine absolute Kanzler-Mehrheit, sondern nur eine einfache Zustimmung. Und das Bundesverfassungsgericht wird noch zu entscheiden haben, ob das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrats überhaupt in Kraft treten kann.

Die energiepolitischen Entscheidungen dieser Wochen sind deshalb so wichtig, weil 47 Länder unser Erneuerbares-Energien-Gesetz übernommen haben. Sollte dieses Gesetz von schwarz-gelb faktisch zu Fall gebracht werden, dann hätte dies Auswirkungen auf die Energiepolitik der ganzen Welt. Im Ausland würde argumentiert, wenn schon die Deutschen selbst ihren bisherigen Weg verlassen, dann werden wir ihn schon gar nicht beschreiten. Aus all diesen Gründen gibt es jetzt nur eine Richtung und ein Motto, das uns Hermann Scheer kurz vor seinem Tod empfohlen hat: „Abkoppeln, abschalten, abwählen.“

Der Anti-Atom-Protest dieses Wochenendes ist nur der Anfang des Widerstands gegen die schwarz-gelbe Selbstherrlichkeit. Vielleicht war der 28. Oktober 2010 der Anfang vom Ende der Regierung Merkel/Westerwelle. Dann hätte die vorübergehende Sonnenfinsternis am Ende zu einem neuen Sonnenaufgang geführt – vielleicht!

Quelle: © Franz Alt 2010 / Sonnenseite

Donnerstag, 4. November 2010

Auch Schweiz hat Müllproblem

In Deutschland protestieren dieses Wochenende tausende von Menschen gegen den Transport von Atommüll und die geplante Einlagerung in einem ehemaligen Salzstock bei Gorleben. Auch in der Schweiz sind zahlreiche sicherheitstechnische Fragen noch immer ungeklärt. Die neue Studie „Rock Solid?“ zeigt, dass die Wissenschaft etliche Probleme bei der Beseitigung von Atommüll noch nicht zufriedenstellend lösen konnte.

Die Studie „Rock Solid?“ („Sicheres Gestein?“) listet eine Reihe von Problemen auf, die in Bezug auf die Tiefenlagerung von Atommüll auch in der Schweiz nicht wirklich geklärt sind: Korrosion der Metallbehälter, Bildung von Hitze und Gas, die die geologischen Schutzbarrieren beschädigen könnten, unerwartete chemische Reaktionen, Schäden im Wirtgestein während der Bauphase, unvorhersehbare Nutzung des Untergrunds durch künftige Generationen, kommende Eiszeiten mit daraus resultierenden geologischen Verschiebungen.

Obwohl bei der Simulation von Entwicklungen in einem Tiefenlager Fortschritte erzielt wurden, bleibt es unmöglich, die Vielfalt an Faktoren und Prozessen in einem Atommülllager abzubilden und Entwicklungen über 100'000 Jahre vorherzusehen. Die Studie „Rock Solid?“ wurde von Greenpeace International in Auftrag gegeben und fasst rund 300 wissenschaftliche Artikel zusammen, die in Fachzeitschriften (sogenannte peer-reviewed articles) und von Fachstellen wie der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA veröffentlicht wurden.

Obwohl der Entsorgungsnachweis für die Schweiz als erbracht gilt und die Standortsuche massiv vorangetrieben wird, sind die in „Rock Solid?“ aufgeworfenen Fragen auch in unserem Land zu einem Grossteil nicht gelöst. Mit dieser Einsicht sollen Lösungen für die Langzeitlagerung von radioaktiven Abfällen gesucht werden – und die Bevölkerung mit den ungelösten Problemen ernsthaft konfrontiert werden.

Quelle: Greenpeace Schweiz

Mittwoch, 3. November 2010

Gas in Endlager Gorleben

Bei beiden Vorbohrungen zu den heutigen Schächten des geplanten Atommüllendlagers Gorleben stießen die Bohrmannschaften 1982 auf brennbare Kohlenwasserstoffgase. Entsprechende Bohrberichte hat die unabhängige Umweltorganisation Greenpeace in Akten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) gefunden.

Zudem trafen die Bergleute auch beim Bau der Transportstrecken im Erkundungsbereich auf verflüssigte Kohlenwasserstoffgase. Die Betreiberfirma Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) spielte die Funde herunter und zog keinerlei Konsequenzen daraus. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) empfahl in ihrem damaligen Zwischenbericht an die Bundesregierung, die untertägige Erkundung des Salzstocks trotzdem fortzusetzen. Die DBE gibt den Flamm- und Brennpunkt des Gases mit 20 Grad Celsius an. Die Einlagerungsbehälter für hochradioaktiven Atommüll (Pollux-Behälter) entwickeln an ihrer Oberfläche eine Temperatur von bis zu 200 Grad Celsius. Die Wärme des Strahlenmülls verursacht eine Ausdehnung des Gases und dadurch einen Druckanstieg im Salzstock. So entstehen Haarrisse und Klüfte, die neue Wegsamkeiten für Wasser und Gas schaffen. Während der geplanten Einlagerungsbohrungen können zudem Explosionen durch die Verbindung von Methangasen und Sauerstoff nicht ausgeschlossen werden. Greenpeace fordert erneut, den ungeeigneten Endlagerstandort Gorleben sofort aufzugeben.

"Mit explosivem Gas in unmittelbarer Nähe der geplanten Atommüllkammern ist Gorleben im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt. Der Salzstock würde zu einer tickenden Zeitbombe, sollte es zur Einlagerung der gefährlichsten Abfälle kommen, die die Menschheit jemals hervorgebracht hat, warntGreenpeace-Atomexperte Mathias Edler. Vor dem Hintergrund dieser verschleierten Tatsachen muss Umweltminister Röttgen jetzt Konsequenzen ziehen und alle internen und bisher unveröffentlichten Akten auf den Tisch legen." Bei der ersten Schachtvorbohrung im Juni 1982 stießen die Arbeiter in 870 und 940 Metern Tiefe auf Gasvorkommen. Die Bohrmannschaft bekam das Gasleck nur schwer in den Griff. Auch in der zweiten Schachtvorbohrung und einer weiteren Tiefbohrung wurde mehrfach Gas angetroffen. Wegen der plötzlichen Gasfunde wurden die Schachtvorbohrungen oberhalb der geplanten Tiefe von 1000 Metern gestoppt. Das zuständige Bergamt Celle warnte die Betreiberfirma DBE vor einem weiteren Tiefergehen, da bei erneutem "Antreffen von Gas (...) eine Abdichtung kaum möglich sein wird".

Der Geologe Ulrich Schneider war bis 1981 an der obertägigen Untersuchung des Salszstocks beteiligt.
Nach seiner Aussage handelt es sich bei den Gasfunden um sogenanntes Zechsteingas, das schon 1969 bei einer Gasbohrung im ehemaligen DDR-Teil des Salzstocks Gorleben-Rambow in 3400 Metern Tiefe zu einer schweren Explosion führte. Die DBE behauptet jedoch, es handele sich um isolierte Gase aus organischen Prozessen innerhalb des Salzes. Als Entstehungsort gibt die DBE geologische Schichten an der Salzstockbasis auf 2000 bis 3000 Metern Tiefe an. Ulrich Schneider: "Wenn das Gas aber aus fast 3000 Metern Tiefe durch geologische Störungen oder den Salzaufstieg bis in die Schächte und Strecken des Bergwerks gelangen kann, dann kommt es auch bis zu den Atommüllbehältern. Diese sollen schließlich bis zu 300 Meter unter der 840 Meter-Sohle in Bohrungen versenkt werden."

Im Jahr 1983 stellte die DBE ihre Ergebnisse in Fachkreisen vor. Auf den folgenden Behördenebenen wurden die Funde zunehmend verharmlost. Über Gasvorkommen imDDR-Teil des Salzstocks Gorleben-Rambow, so schreibt die PTB in ihrem Zwischenbericht, lägen "keine zuverlässigen Informationen vor". Die Gasexplosion in Rambow verschweigt der Bericht.

Quelle: Greenpeace | Sigrid Totz 2010

Dienstag, 2. November 2010

CSU-Abgeordneter gegen AKW



„Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wird nicht Realität werden“ – ECOreporterTV-Interview mit Josef Göppel (CSU) zum schwarz-gelben Energiekonzept

Josef Göppel ist einer von 24 Bundestagsabgeordneten der Regierungfraktionen, die gegen das neue schwarz-gelbe Energiekonzept und der Atompolitik der Bundesregierung gestimmt haben. Im ECOreporterTV-Interview begründet der CSU-Politiker sein Nein zur Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und spricht über Potenziale, die der weitere Ausbau der regenerativen Energien bringen könnte.

Quelle: Youtube / Ecoreporter

Atomkraft blockiert Wende

Längere Laufzeiten von Atomkraftwerken bringen keine Preisvorteile für Verbraucher, blockieren Modernisierungen und bergen Risiken für die Allgemeinheit. Das kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Deutschen Naturschutzring (DNR) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

"Atomkraft ist keine Brücke, sondern eine Sackgasse", erklärt vzbv-Vorstand Gerd Billen. Verbraucher haben einen Bedarf nach sicherer, sauberer und bezahlbarer Energie. Vor dem Hintergrund des Klimawandels, knapper und teurer werdender fossiler Energiequellen und der Abhängigkeit von Förderländern ist ein schneller Umstieg auf erneuerbare Energien unumgänglich. "Die Politik muss Maßnahmen ergreifen, die wirtschaftlich und effizient sind, damit Strom für Verbraucher auch künftig bezahlbar bleibt", erklärt Billen. Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke blockieren die nötige Energiewende aus verschiedenen Gründen.

Alleine in Deutschland soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von derzeit 16 auf 50 Prozent im Jahr 2030 steigen. Dies sieht das Energiekonzept der Bundesregierung vor. Weil die Strommengen bei erneuerbaren Energien stark schwanken, braucht es in Zukunft vermehrt flexible Kraftwerke, um Spannungsabfälle im Netz zu vermeiden. Zugleich müssen ausreichend Speicherkapazitäten vorhanden sein, wenn das Angebot größer als die Nachfrage ist. Beides gewährleisten Atomkraftwerke nicht. Ein häufiges An- und Abschalten der Meiler ist mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko verbunden.

Zudem sind die Betreiber im Ernstfall nur höchst unzureichend versichert. Den Großteil der Kosten eines Unfalls träge die Allgemeinheit. Diese schätzt das Bundesumweltministerium auf rund fünf Billionen Euro. Zur Schadensregulierung stehen pro Kraftwerk jedoch nur 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Im unmittelbar betroffenen Umkreis der Kraftwerke leben im Schnitt rund eine Million Menschen, die evakuiert werden müssten. Jeder Geschädigte erhielte von den Kraftwerksbetreibern also maximal 2.500 Euro. Eine Individualversicherung für Verbraucher gibt es wegen der enormen Schadenshöhe nicht. "Während die Gewinne den Unternehmen zufließen, werden Risiken sozialisiert", kritisiert Billen.

Einen nennenswerten Preissenkungseffekt für Verbraucher haben Laufzeitverlängerungen nicht.
Zwar erzeugen die abgeschriebenen Atomkraftwerke konkurrenzlos günstigen Strom. Dieser Kostenvorteil kommt wegen der Preisbildungsmechanismen an der Strombörse bei den Verbrauchern allerdings nicht an. Er bleibt als Zusatzgewinn bei den Betreibern. Denn an der Börse findet keine Mischkalkulation statt. Den Strompreis bestimmt dort das teuerste Kraftwerk (Merit-Order-Effekt).

Quelle: oekonews.at