Freitag, 19. November 2010

Atomenergie und das Klima

Kann Atomkraft einen Beitrag zur Lösung der Klimaproblematik leisten? Eine kontroverse Auseinandersetzung mit Starbesetzung blieb ohne eindeutiges Ergebnis. Und kann ein Überfluss an Erneuerbaren Energien - vor allem der solaren - dazu führen, auf weit gehende und teure Energiesparmassnahmen zu verzichten? Die Kernfragen der Energiepolitik werden derzeit neu formuliert.

Es sind gegensätzliche Anliegen: Auf der einen Seite steht die These im Raum, wir bräuchten für die Zukunft alle Optionen, die fossilen Energien zu ersetzen – also auch die Atomenergie. Auf der anderen soll plötzlich genügend Erneuerbare Energie verfügbar sein – das hiesse ja auch, es brauche Atomenergie sowieso nicht mehr. Auf beiden Ebenen widmet sich derzeit die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH-Z) dieser neu lancierten energiepolitischen Diskussion.

Beurteilen den Beitrag der Atomenergie zur Lösung der Klimaproblematik unterschiedlich: ETH-Professor Horst-M. Prasser und Michael Sailer vom Oeko-Institut in Darmstadt (Foto: Guntram Rehsche).







Gestern Abend trafen an einer gut besuchten Veranstaltung der ETH deren Nuklear-Professor Horst-M. Prasser und Michael Sailer vom Oeko-Institut Darmstadt aufeinander. Letzterer sieht das grösste Problem einer Renaissance der Atomenergie bei den Kapazitäten. Es sei kaum möglich, mehrere hundert neue AKW zu bauen, die für einen substantiellen Beitrag zum Abbau der fossilen Energienutzung und damit zu einer CO2-Minderung nötig wären. Denn es fehlten sowohl die Rohstoffe für den Bau wie vor allem die Fachleute für Planung und Betrieb solcher Anlagen. Dem hielt Prasser entgegen, dass an der ETH nun immerhin wieder 40 bis 50 Studenten in seinen Vorlesungen sässen und der Nuklear-Master-Lehrgang von einem guten Dutzend Leute besucht würden, darunter sogar Frauen.

Kontrovers ist auch die Frage, wie viel Treibhausgas die Produktion von Atomenergie verursacht. Gemäss Sailer stammen unterschiedliche Angaben von unterschiedlichen Aufbereitungsprozessen des Urans. Werde die bisher gängige Methode verwandt, so falle wegen hohen Energieaufwands mehr CO2 an, die neuere Ultrazentrifugen-Lösung verursache weniger Emissionen. Sie sei aber umgekehrt heikel, weil sie erleichtere, waffenfähiges Uran zu erzeugen. Wie überhaupt die vermehrte Anwendung von Atomenergie die Frage der Proliferation stelle – also, ob die Technologie nicht in unberufene Hände gelangt.

Alexancer Wokau, Leiter des Labors für Kernenergiesysteme, fügte bei, Atomenergie besitze bezüglich des CO2-Ausstosses genauso wie die Erneuerbaren einen deutlichen Vorteil gegenüber den Fossilen – unter diesem Aspekt spiele es also keine Rolle, ob Photovoltaik oder Atomenergie zur Anwendung gelange.. Zur CO2-Belastung der Atomenergie weist eine Übersichtsstudie darauf hin, dass die von der ETH resp. vom PSI angenommenen Werte von 6 bis 10 Gramm CO2/kWh wohl tief angesetzt sind (siehe Sovacool, B.K. «Valuing the Greenhouse Gas Emissions from Nuclear Power: A Critical Survey» in Energy Policy - www.nirs.org/climate/background/sovacool_nuclear_ghg.pdf).

In der Radio-Konsumentensendung Espresso von heute Freitag nahm die Zürcher Stadträtin Claudia Nielsen zur einer anderen, von der ETH aufgeworfenen Frage Stellung, die durchaus einen Zusammenhang mit der oben gestellten Atomfrage hat. Wird künftig so viel an Erneuerbarer Energie zur Verfügung stehen, dass sich Energiesparmassnahmen gar nicht mehr aufdrängen? Nielsen mag nicht so recht an dieses Konzept glauben, sieht aber auf jeden Fall die Möglichkeit, dass «viele Wege nach Rom führten».

Dass die Erneuerbaren ein derart immenses Potential aufweisen, hatte ETH-Professor Hansjürg Leibundgut vergangene Woche an der Baumesse in Bern in den Raum gestellt (siehe Solarmedia vom 13. November 2010). Er verknüpft in unterdessen mehreren Beispielen energetisch gut gedämmte Häuser mit einer Erdspeicherung, in die Wärme im Sommer eingelagert und im Winter über Wärmepumpen nutzbar gemacht wird – womit Gebäude autark von externer Energiezufuhr würden, vorausgesetzt auch der für den Wärmepumpenbetrieb nötige zusätzliche Strom könnte durch gebäudeeigene Solaranlagen erzeugt werden. Noch tobt eine heftige Auseinandersetzung über die konkrete Realisierbarkeit dieser Frage – unter anderem auch in einer der grossen Zürcher Wohnbaugenossenschaften, wo ein solche Anergie-Netz erstellt werden soll (weitere Angaben unter www.viagialla.ch).

Die gestellten Fragen finden insofern zusammen, als eine positive Antwort zur Möglichkeit energieautarker Gebäude die Notwendigkeit der Atomenergie abschlägig beantworten würde. Der Atomenergie erwächst an einer weiteren Front Widerstand, nämlich an wohl bedeutendsten, der wirtschaftlichen. Die Vermutung sei gewagt, Atomenergie erledige sich demnächst von allein – die Abfallproblematik allerdings bleibt erhalten.

© Solarmedia

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen