Rund 92 Stunden vom Start bis zum Ziel: Die Castoren sind in Gorleben eingetroffen, der langwierigste Atommüll-Transport in der Geschichte ist zu Ende. Der Polizeieinsatz am Morgen lief friedlich und effizient. AKW-Gegner bejubeln die massiven Proteste und rufen die Merkel-Regierung zum Umdenken auf.
Die letzte Etappe eines Marathon-Transports ist zu Ende: Nach rund 92 Stunden haben die Tieflader mit den insgesamt elf Castor-Behältern voller hoch radioaktivem Atommüll das Zwischenlager Gorleben am Dienstagmorgen erreicht. Die Tore des niedersächsischen Zwischenlagers sind wieder geschlossen. Um 9.52 Uhr hatte der letzte Tieflader die Einfahrt passiert. Gut eine Stunde zuvor hatte sich der Konvoi der Schwerlaster vom Verladebahnhof in Dannenberg auf den Weg gemacht. Massive Polizeikräfte sicherten den 20 Kilometer langen Transport auf der Straße. In langsamem Tempo fuhren die Tieflader mit den weißen Castor-Behältern durch die anliegenden Dörfer.
Der Transport von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben brauchte deutlich länger als alle seine elf Vorgänger seit 1995. Noch nie war der Widerstand gegen den Castor so heftig wie in diesem Jahr. Die Wut der Menschen richtet sich auch gegen die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke und die weitere Erkundung des Salzstocks Gorleben als Endlager. Am frühen Dienstagmorgen hatte die Polizei die Räumung der Zufahrtsstraße beendet, auf der zeitweise bis zu 4000 Menschen fast 45 Stunden auf Strohsäcken und Iso-Matten ausgeharrt hatten. Aktivisten der Umweltorganisation Robin Wood, die sich an Seilen über die Zufahrtsstraße gehängt hatten, wurden von der Polizei heruntergeholt. Der Einsatz dauerte mehrere Stunden.
Polizisten trugen gegen 3.25 Uhr die ersten Demonstranten weg (siehe Bild), teilten die Organisatoren von der Kampagne "X-tausendmal quer" mit. "Wir möchten ihnen nicht wehtun", sagt ein Polizist über Lautsprecher, als die Räumung begann. Tatsächlich verlief der Einsatz zunächst ruhig und besonnen, die Beamten trugen die Aktivisten vorsichtig ein paar Meter von der Straße in Richtung Wald und bauten Absperrgitter auf. Gleichzeitig gelang es der Polizei, eine Beton-Pyramide vor Gorleben, an die sich Bauern gekettet hatten, von der Straße zu räumen. Die Pyramide war eines der drei größten Hindernisse, um den radioaktiven Abfall vom Verladebahnhof nahe Dannenberg über die Straße nach Gorleben zu transportieren.
Ein weiteres Problem war eine Lastwagen-Blockade der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Dannenberg. Dort wurden am Dienstagmorgen laut Polizeiangaben zwei Umweltschützer aus ihrer Verankerung befreit. Die beiden waren mit einem Arm und beiden Beinen in einem Betonblock fixiert. Mehrere Spezialisten der Polizei versuchten seit Montagabend, den Protest mit Spezialwerkzeug zu beenden. Den Umweltschützern war es gelungen, die Transportstrecke mit einem als Getränkelastwagen getarnten Fahrzeug zu blockieren.
Führende Atomkraftgegner feierten die massiven Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben als großen Erfolg. "Es ist echt bewundernswert, mit welchem Mut und Enthusiasmus sich so viele Menschen an den Sitzblockaden beteiligt haben", sagte die langjährige Gorleben-Aktivistin und Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms nach der Räumung der Sitzblockade vor dem Atommüll-Zwischenlager. "Die Proteste bringen zum Ausdruck, was die Mehrheit der Bevölkerung denkt", sagte sie und rief die Bundesregierung zu einer Abkehr von ihrer Atompolitik auf. "Es muss eine Neubesinnung geben", besonders Gorleben sei "nicht der richtige Standort" für ein Atommüll-Endlager, sagte Harms weiter. Polizeieinsätze, um die bisherige Atompolitik durchzusetzen, seien angesichts der Proteste in diesem Jahr an ihre Grenzen gelangt. "Man kann nicht 20.000 Polizisten dauerhaft gegen junge Leute in Marsch setzen."
Der Sprecher der Organisation "ausgestrahlt", Jochen Stay, geht von einer Stärkung der Anti-AKW-Bewegung aus. "Die Leute gehen von hier mit einer unheimlichen Motivation weg", sagte Stay in Gorleben. Zwar sei eine Räumung nie etwas erfreuliches, "aber es fühlt sich nicht frustrierend oder nach Niederlage an", sagte Stay mit Blick auf die rund 45-stündige Sitzblockade von zeitweise mehr als 4000 Atomkraftgegnern vor dem Zwischenlager Gorleben.
Quelle: Spiegel Online
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Dienstag, 9. November 2010
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