Die Radioaktivität im Atomkraftwerk Fukushima ist um das Tausendfache gestiegen. Eine Notaktion soll das Schlimmste verhindern. Auch eine weitere Anlage hat nur Notstrom. Ein Artikel von Welt Online bringt mitten in der Nacht auf Samstag einen Überblick auf die dramatischen Ereignisse.
Nach dem Versagen des Kühlsystems im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist die Radioaktivität im Umkreis der Anlage gestiegen. Im Innern habe sie das Tausendfache des Normalwerts erreicht, teilten die Behörden am Samstag (Ortszeit) mit. Die Evakuierungszone werde ausgeweitet. Nach dem verheerenden Erdbeben am Freitag war die Stromversorgung für das Kühlsystem ausgefallen und der Druck im Reaktor weiter angestiegen. Die Regierung rief für das Kraftwerk den Notstand aus.
Die Kernschmelze ist ein extrem gefährlicher Unfall in einem Kernreaktor. Dabei erhitzen sich die Brennstäbe so sehr, dass sie schmelzen. Im ummantelten Brennstab befindet sich der Stoff, der gespalten wird – also Uran oder Plutonium.
Radioakive Verseuchung Zur Kernschmelze kann es etwa kommen, wenn Kühl- und Sicherungssysteme gleichzeitig oder in kurzer Zeit nacheinander ausfallen. Wenn die gesamte geschmolzene Masse auf den Boden des Behälters sinkt, kann sie sich durch die Wände des Reaktors fressen. Dabei können radioaktive Substanzen nach Außen gelangen. Mit einer Kernschmelze gehen häufig Dampf- und Wasserstoffexplosionen einher.
Die Evakuierungen wurden nach dem Anstieg der Radioaktivität ausgeweitet, wie die Behörden mitteilten. Zuvor hatte die Regierung angeordnet, Tausende Anwohner in Sicherheit zu bringen. Sie sollten mindestens drei Kilometer Abstand von der Anlage halten und sich innerhalb von Gebäuden aufhalten. Um den gestiegenen Druck in einem der sechs Reaktoren zu reduzieren, wollen die Behörden dort etwas radioaktiven Dampf ablassen. Die Atomsicherheitsbehörde erklärte, der Druck sei auf das 2,1-fache des Normalwerts angestiegen.
Der kontrolliert freigesetzte Dampf werde gefiltert, um Radioaktivität in der Anlage zu halten, teilten japanische Behörden der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA mit. Nach einer Experteneinschätzung ist es aber unwahrscheinlich, dass in solch einer Situation keinerlei Radioaktivität freigesetzt wird.
Kabinettssekretär Yukio Edano erklärte, die freigesetzte Menge an Radioaktivität sei „sehr gering“. Weil bereits Evakuierungen angeordneten seien und der Wind Richtung Meer wehe, „können wir Sicherheit garantieren“, sagte Edano auf einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. Die Ingenieure täten ihr Möglichstes, um das Kühlsystem des etwa 270 Kilometer nordöstlich von Tokio gelegenen Atomkraftwerks wieder in Betrieb zu setzen, teilte die Atomaufsichtsbehörde mit. Der Erfolg dieser Maßnahme sei jedoch nicht garantiert.
Nach dem Ausfall des Kühlsystems hatten selbst die Notstromgeneratoren versagt. Ein Mitarbeiter der Atomsicherheitsbehörde erklärte, derzeit werde der Reaktor mit einem zweiten System gekühlt, das aber nicht so effektiv sei wie die eigentliche Anlage. Nach Greenpeace-Angaben schauten Brennstäbe teils zwei Meter aus dem Wasser, weil zu wenig Kühlwasser nachgepumpt werden konnte. Experten sprachen vom einem „Station Blackout“.
Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde Nisa hat der Betreiber drei oder vier Generatorenfahrzeuge vor Ort, könne sie aber nicht anschließen, weil ein passendes Kabel fehle. Derzeit werde versucht, dieses Kabel per Flugzeug herbeizuschaffen. Gleichzeitig versuche das Unternehmen, aus einem anderen Kernkraftwerk eine Ersatzbatterie für den Notbetrieb des Kühlsystems zu dem havarierten AKW zu bringen.
Der Greenpeace-Reaktorexperte Heinz Smital erklärte, selbst ein abgeschaltetes Atomkraftwerk erzeuge noch so viel Nachwärme, dass man eine Kernschmelze nur dann verhindern könne, wenn die Kühlung sichergestellt sei. Das Erdbeben habe eine sehr große Energie gehabt, „so dass viele Systeme möglicherweise nicht funktionieren wie sie sollten“.
US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte zunächst, Washington stelle Japan Kühlflüssigkeit zur Verfügung. Gewährsleute erklärten später aber, Clinton habe sich versprochen. Die USA hätten Japan die Bereitstellung von Kühlmittel angeboten, Tokio habe dies aber abgelehnt. Der amerikanische Reaktorexperte Robert Alvarez sprach von einem „beängstigenden Rennen gegen die Zeit“.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, es bestehe eine ernste Situation. Im äußersten Fall sei auch eine Kernschmelze in bis zu drei Reaktorblöcken der Anlage möglich. Dies hätte wie 1986 in Tschernobyl weitreichende Folgen für Bevölkerung und Umwelt. Angesichts der weiten Entfernung und des angekündigten Wetters sei im Falle einer Kernschmelze in dem japanischen Atomkraftwerk für Deutschland nicht mit radioaktiver Strahlung zu rechnen, so Röttgen. Nach jetzigem Stand würde eine mögliche radioaktive Wolke über den Pazifik hinweg ziehen.
Auch die Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho im Erdbebengebiet wird derzeit mit Notstrom gekühlt. „Hier liegen rund 3000 Tonnen hochradioaktiver abgebrannter Brennstoff“, sagte der international tätige Atomexperte Mycle Schneider. Das entspreche etwa der Menge an Brennstoff, die in 25 bis 30 Atomreaktoren gelagert wird. „Wenn die Brennstäbe nicht gekühlt werden, entzünden sie sich selbst“, erklärte Schneider.
Allerdings sei die Gefahr nicht ganz mit der eines Vorfalls in einem Atomreaktor zu vergleichen, erklärte Christoph von Lieven, Atomexperte der Umweltorganisation Greenpeace. „Der Atommüll liegt im Abklingbecken und befindet sich nicht mehr in einer Kettenreaktion. Radioaktivität würde zwar entweichen, jedoch nicht in Form einer Explosion“, sagte von Lieven. In der von dem verheerenden Erdbeben der Stärke 8,9 am schwersten betroffenen Präfektur Miyagi brach zudem im Turbinenraum einer Atomanlage in Onagawa ein Feuer aus. Rauch stieg aus dem Gebäude auf, das abseits des Reaktorblocks liegt. Das Feuer konnte gelöscht werden, wie der Betreiber Tohoku Electric Power mitteilte. Radioaktive Strahlung sei aber nicht ausgetreten.
Quelle: Welt Online
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