Die Atomkatastrophe in Japan ist in ihren Ausmass offenbar nicht mehr zu verdrängen. Die Schweiz legt das Bewilligungsverfahren für neue AKW auf Eis, der Kanton Aargau verschiebt die Planungsdiskussion – und in Deutschland scheint es plötzlich wieder möglich, den alten Ausstiegsbeschluss zu reanimieren. PolitikerInnen krebsen zurück.
Beredtes Zeugnis des Zustands in Japan ist die Meldung vom US-Kriegsschiff, das auf dem Weg nach Fukushima abdrehte, weil es in eine Atomwolke geriet – das kann nur heissen, dass wirklich bereits spürbare Mengen an Radioaktivität aus zumindest einem der beschädigten Reaktoren ausgetreten sind. Der Macht des solcherart Faktischen kann sich die Politik nicht mehr entziehen, wie die Meldungen sowohl aus der Schweiz wie aus Deutschland belegen.
So sieht Kaiseraugst-Aktivist und immer noch Atomgegner Aernschd Born die Schweizer Bundesrätin Leuthard Energiepolitik lavieren (Copyright Aernschd Born - mit freundlicher Bewilligung des Zeichners).
Bundesrätin Doris Leuthard hat am Montagvormittag die Verfahren bei den Rahmenbewilligungsgesuchen für neue Atomkraftwerke in der Schweiz sistiert. Und das Eidg. Nuklear-Sicherheits-Inspektorat ENSI leitet bei den bestehenden AKW eine vorzeitige Sicherheitsüberprüfung ein. «Die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung haben oberste Priorität», lässt sich die Energieministerin in einem Communiqué des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) zitieren. Dieser Schritt wird zweifellos zu einer wesentlichen zeitlichen Verschiebung jener Pläne führen, die die Inbetriebnahme eines neuen AKW in der Schweiz für das Jahr 2025 vorsahen.
Bundesrätin Leuthard lasse sich von den Fachstellen regelmässig über die Entwicklung in Japan informieren und orientiere den Gesamtbundesrat über die Lage, heisst es weiter. Aufgrund der jüngsten Lagebeurteilung des ENSI bestehe für die Bevölkerung in der Schweiz nach wie vor keine direkte Gefahr. Aufgrund der neusten Entwicklung und der internen Diskussion entschied Leuthard, die laufenden Verfahren rund um die drei Rahmenbewilligungsgesuche für Ersatz-AKW zu sistieren, bis die Sicherheitsstandards überprüft und allenfalls angepasst würden. Beim AKW Mühleberg BE läuft bereits eine Sicherheitsüberprüfung.
Selbst auf kantonaler Ebene haben die Entwicklung nun konkrete Auswirkungen. So hat im Kanton Aargau die Regierung nach den Unfällen in japanischen Atomkraftwerken die für Dienstag geplante Debatte im Kantonsparlament über die Anpassung des Richtplans für ein neues AKW Beznau vertagt. Auf der Traktandenliste des Grossen Rates waren die Anpassung des Richtplans für ein AKW in Beznau sowie ein neues Wasserkraftwerk auf der Aareinsel Beznau aufgeführt. Ob sie von der Liste gestrichen werden, entscheidet nun das Büro des Grossen Rates.
In Deutschland steht unterdessen der Beschluss über die Verlängerung der Laufzeiten zur Disposition. Dieser war – trotz gerichtlicher Anfechtungen durch ein Teil der Bundesländer – zu Anfang Jahr zum Gesetz erhoben worden. Ausgerechnet die einst glühenden Atomkraftbefürworter der Freiliberalen unter Führung von Aussenminister Guido Westerwelle haben nun die Absetzbewegung eingeleitet. In einer Erklärung zur Mittagszeit zeigte sich Westerwelle für alle Schritte offen. Zu solchen ist offenbar auch die baden-würtembergische CDU-Regierung bereit – sie muss um ihre Wiederwahl in zwei Wochen fürchten und will nun plötzlich die Sicherheitsfrage zur obersten Maxime machen. Und Politiker aller Couleur überbieten sich im Gelübde, den Erneuerbaren Energien nunmehr absolute Priorität einzuräumen. Am Montagnachmittag dann der Entscheid: Kanzlerin Merkel hat ein Moratorium von drei Monaten angekündigt. In dieser Zeit soll die geplante Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ausgesetzt werden. Alt-AKW könnten schon vorübergehend vom Netz gehen.
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Montag, 14. März 2011
Leuthard & Westerwelle krebsen
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