Die dramatischen Nachrichten aus dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima halten an. Die Lage gerät immer weiter außer Kontrolle. Erneut gab es in der Nacht zu Dienstag dort eine Explosion - die dritte in vier Tagen. Betroffen war diesmal Reaktor 2. Dabei wurde vermutlich auch der Reaktorbehälter beschädigt. Außerdem soll in einem Lager für verbrannte Brennstäbe ein Feuer ausgebrochen sein. Inzwischen soll der Brand gelöscht worden sein.
Die IAEA teilte am Dienstagmorgen mit, am Kraftwerk seien Werte von 400 Millisievert pro Stunde gemessen worden - dies übersteigt den Grenzwert der Strahlenbelastung für ein Jahr um das 400fache, schrieb die Nachrichtenagentur Kyodo. Strahlenkrankheit kann bei einer kurzfristigen Belastung von 250 Millisievert auftreten. Bei der Explosion in Block 2 um etwa 6.00 Uhr Ortszeit (22.00 Uhr MEZ) (siehe Atominfomedia vom 14. März 2011) sei wahrscheinlich ein Teil des Reaktorbehälters beschädigt worden, sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Jetzt werde in den Reaktorblöcken 1 bis 3 das Einpumpen von Wasser planmäßig fortgesetzt. Im Block 1 gab es bereits am Samstag, in Block 3 am Montag eine Wasserstoffexplosion. In beiden Fällen wurde das äußere Gebäude zerstört. Es gelte jetzt, die Kühlung aufrechtzuerhalten, sagte Edano.
Die AKW-Betreibergesellschaft Tepco erklärte, dass bei der Detonation im Reaktor 2 im Unterschied zu den beiden ersten Explosionen der Reaktor selbst beschädigt worden sei. Es handle ich um eine "sehr schlimme" Lage. Ein Tepco-Sprecher teilte mit, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Kernschmelze komme. Die droht bereits seit Tagen und könnte in Teilen der Anlage bereits partiell eingetreten sein. Infolge der Naturkatastrophe waren Kühlsysteme in der Atomanlage rund 250 Kilometer nördlich von Tokio ausgefallen.
Im Reaktor 4 droht inzwischen die Kühlung auszufallen. Die Brennstäbe könnten das Kühlwasser zum Kochen bringen und verdampfen lassen, teilte die Nachrichtenagentur Kyodo am Dienstag unter Berufung auf den Betreiber Tepco mit. Die Außenwand von Reaktor 4 ist stark beschädigt. Die Atomaufsicht des Landes teilte mit, in der Wand klafften zwei Löcher mit einer Größe von jeweils acht Quadratmetern. Laut Tepco sind derzeit noch 50 Mitarbeiter vor Ort in Fukushima. 750 Mitarbeiter seien abgezogen worden.
Die Regierung warnte erstmals vor Gesundheitsschäden. Die radioaktive Strahlung im Umkreis des Unglückskraftwerks erreichte demnach gefährliche Werte. Regierungssprecher Edano sagte, mit ausgetretenem Wasserstoff seien radioaktive Substanzen in die Atmosphäre gelangt. "Anders als das, was bisher passiert ist, gibt es keinen Zweifel, dass das erreichte Niveau die menschliche Gesundheit beeinträchtigen kann."
Ministerpräsident Naoto Kan rief die Bevölkerung in den Evakuierungszonen um die beiden Atomkraftwerke von Fukushima eindringlich auf, sich in Sicherheit zu bringen. Die meisten Bewohner hätten diese Aufforderung bereits befolgt, sagte er. Geräumt werden solle ein Umkreis von 20 Kilometern um Fukushima I und 10 Kilometern um Fukushima II. In einer Entfernung von 20 bis 30 Kilometern um Fukushima I sollen die Einwohner ihre Häuser nicht verlassen und sich in geschlossenen Räumen aufhalten. "Ich weiß, dass die Menschen besorgt sind, aber ich bitte Sie, sich ruhig zu verhalten."
Eine weitere Hiobsbotschaft: Zum Zeitpunkt der neuen Explosion herrschte nach Angaben von Meteorologen Nordwind. Dies würde bedeuten, dass radioaktive Teilchen auch nach Süden in Richtung Tokio gelangen könnten. In Ibaraki - südlich von Fukushima - wurde Kyodo zufolge bereits erhöhte Strahlung gemessen. Radioaktive Substanzen seien auch in Tokio gemessen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. Die Belastung in der Nähe der Hauptstadt stieg nach Angaben der Präfektur von Chiba auf mehr als zehn Mal so hohe Werte wie üblich, berichtete die Agentur Kyodo. Im Großraum Tokio leben mehr als 35 Millionen Menschen. Viele Bewohner hatten sich aus Angst vor dem Atomunfall auf den Weg in den entfernten Süden des Landes gemacht.
Bei den Zurückgebliebenen kam es zu teilweise panikartigen Reaktionen. Bewohner deckten sich mit Überlebens-Utensilien und Lebensmitteln ein. Radios, Taschenlampen, Kerzen und Schlafsäcke sind teilweise ausverkauft. Das japanische Fernsehen zeigte Bilder von leergeräumten Regalen. Auch Russland meldete inzwischen leicht erhöhte Radioaktivität. In Wladiwostok, im fernen Osten des Landes haben die Behörden innerhalb von sechs Stunden einen leichten Anstieg der Strahlung verzeichnet.
Quelle: Spiegel Online
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