Dienstag, 7. Dezember 2010

Atomkraft hilft dem Klima nicht

Klimakonferenz in Cancun - die Atomwirtschaft lässt (wieder einmal) verlauten, Kernenergie könne einen entscheidenden Beitrag leisten zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Das ruft nach dem Kommentar in der deutschen «Zeit», der zwar schon ein Jahr alt, aber nicht minder aktuell ist: «Die Nuklearbranche jubelt eine Renaissance der Kernenergie herbei – und ignoriert einige Fakten» - ein Kommentar von Marlies Uken.

Gleich zehn neue Kraftwerke will die schwedische Regierung in den kommenden Jahren bauen – im Zusammenhang mit einer neuen Energie- und Klimapolitik, wie es heißt. Ausgerechnet Schweden! Der Atomausstieg des Landes vor 30 Jahren war immer ein Vorbild für die deutsche Anti-Atompolitik. Jetzt haben die Skandinavier sich entschlossen, doch nicht auf die Kernenergie verzichten zu wollen. Sie befinden sich in bester Gesellschaft. Bulgarien kündigte den Neubau von Meilern an, ebenso Polen, die Niederlande und Italien. Jetzt wittern die deutschen Befürworter der Kernkraft ihre Chance. Stolz listete das Deutsche Atomforum während seiner Wintertagung auf einer vollbedruckten DIN A4-Seite die neuesten Ausbaupläne der Nachbarn auf.

Das Hauptargument, mit dem die Regierungen ihre Pläne begründen, ist simpel: Klimaschutz. Schließlich emittieren Kernkraftwerke kein Kohlendioxid – betrachtet man nur die Stromproduktion, ohne den Uranabbau und dessen Aufbereitung mit einzurechnen. Die Atombranche jubelt und spricht einmal wieder von der Renaissance der Atomenergie weltweit. Sie zeichnet ein dramatisches Bild: Deutschland stehe mit seinem Atomausstieg allein da und sei weltweit isoliert. Der Ausstieg wird sogar als "naiv" verspottet. Doch die Mehrheit muss nicht immer Recht haben. Hier ein paar Argumente, die von den Befürwortern der Atomenergie gerne unerwähnt bleiben:

Das Potenzial der Atomkraft, den Klimawandel zu bremsen, ist weitaus geringer, als die Branche behauptet. Das zeigt der aktuelle Bericht "Energy Technology Perspectives 2008" (hier als .pdf-Datei) der Internationalen Energieagentur (IEA) – die sicherlich nicht als besonders atomkritisch verschrien ist. Die Kernenergie könne gerade einmal sechs Prozent der nötigen Einsparungen beitragen, um die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 um 50 Prozent zu reduzieren.

Im Vergleich zu acht anderen Möglichkeiten, Kohlendioxid einzusparen, rangiert die Kernkraft aus der Sicht der IEA sogar auf dem letzten Platz! Wer auf Energieeffizienz in der Industrie und bei den Privathaushalten setzt, die Benzinverschwendung im Verkehr eindämmt und erneuerbare Energien ausbaut, erzielt weitaus größere Effekte. Zudem sind die Pläne für Kraftwerksneubauten, die von den Regierungen derzeit im Wochentakt verkündet werden, vollkommen unrealistisch. Es handelt sich um Absichtserklärungen, mehr nicht. In Europa gibt es zurzeit gerade einmal zwei AKW-Baustellen: in Frankreich und in Finnland.

An beiden Standorten verzögern sich schon jetzt die Bauarbeiten, weil die Behörden Mängel feststellten. Im französischen Flamanville verhängte die Aufsicht ein Bauverbot wegen mangelhafter Schweißarbeiten und Rissen im Beton. Dass der Vorzeigemeiler teurer wird, als geplant, ist sicher. Ähnlich die Lage im finnischen Olkiluoto: Der erste neue Meiler in Europa seit Tschernobyl sollte eigentlich dieses Jahr ans Netz gehen. Nun wird es wohl 2012.

Darüber hinaus verweist die Branche gerne auf die angeblich so geringen Kosten der Atomenergie. Sie halte den Strompreis niedrig und sei deswegen sozial. Doch auch dieses Argument zieht nicht. Der niedrige Preis ist nur möglich, weil die Kernenergie in der Vergangenheit hochgradig subventioniert wurde – allein in Deutschland mit mehr als 100 Milliarden Euro.

Fatih Birol, der Chefökonom der IEA, schätzt, dass weltweit jedes Jahr mindestens 20 neue Meiler gebaut werden müssten, damit die Atomkraft überhaupt irgendeinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten könne – und das bei einer noch immer ungelösten Endlagerfrage. Die Branche aber besitzt überhaupt nicht die Kapazitäten, um sämtliche Pläne zu realisieren, und die Modelle, die aktuell im Gespräch sind, wurden noch nie gebaut. Die Kernkraft-Zukunft ist nicht so rosig, wie die Atombranche sie malt.

Quelle: Die Zeit 29. Juli 2009

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