Das ist ganz im Sinne der Energiestrategie des Bundes und absolut realistisch. In Europa herrscht auf absehbare Zeit ein Strom-Überangebot, also wäre eine Substitution versorgungstechnisch noch nicht einmal nötig. Es wäre aber aus Sicherheitsgründen sinnvoll und problemlos möglich, auch die beiden Uraltreaktoren in Beznau vor 2020 abzuschalten - so eine Stellungnahme der Schweizerischen Energie Stiftung SES. Kaum hat die BKW ihren Entscheid kommuniziert, sind schon erste Stimmen laut geworden, die sich fragen, woher denn dereinst der Strom kommen soll. So sagte FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen gegenüber dem Tagesanzeiger (1): «Um das Kernkraftwerk Mühleberg zu ersetzen, bräuchte es etwa 740 Windturbinen». Er fragt sich, was die Alternativen seien. Davon abgesehen, dass bereits 500 moderne Windräder genügend Strom produzieren würden, vergisst Wasserfallen unter anderem die Photovoltaik – die Alternative mit dem grössten Potenzial. Das ist sicher Absicht, weil die Photovoltaik erstens kein Konfliktpotenzial mit dem Landschaftsschutz birgt und zweitens für die grossen Stromunternehmen offenbar nicht interessant ist.
Seit 2009 werden erneuerbare Energien in der Schweiz mit der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) gefördert. Ein Blick in die Statistik(2) zeigt, dass die KEV-geförderten Anlagen, die bereits in Betrieb sind, jährlich rund 1700 Gigawattstunden (GWh) Strom produzieren. Dazu kommen Anlagen mit einer Zusage im Umfang von 3448 GWh und die, die auf der Warteliste stehen und noch auf Bescheid warten, mit 5255 GWh. Total sind das 10'387 GWh erneuerbaren Strom aus konkreten Projekten, der mit dem entsprechenden politischen Willen bis 2019 ins Netz eingespiesen werden könnte. Damit könnte man Mühleberg (Produktion 2012: 3117 GWh) rund drei Mal ersetzen. Oder noch besser Beznau I und II gleich dazu: Diese drei Uraltreaktoren haben 2012 zusammen 8870 GWh produziert – ein Ersatz wäre also auch möglich, wenn man davon ausgeht, dass das eine oder andere Windprojekt nicht schnell genug realisiert werden kann. Insbesondere Windprojekte sind häufig von Einsprachen von Nachbarn blockiert. Alle Windprojekte (mit bereits realisierten) machen weniger als einen Drittel der KEV-Projekte aus.
BKW-Konzernchefin Suzanne Thoma hat gegenüber der NZZ erklärt (3), es werde rund 10 Jahre dauern, bis der Wegfall von Mühleberg mit einheimischem Strom ersetzt sei. Dies liege an den langen Verfahren, welche Wasserkraftprojekte über Jahre blockieren können. Das ist eine stark verkürzte Aussage: Es mag sein, dass die BKW so lange braucht, um genügend erneuerbare Kapazitäten aufzubauen, weil sie fast ausschliesslich auf den Ausbau der Wasserkraft setzt. Schweizweit und damit versorgungstechnisch gedacht, ist das eine unrealistisch lange Zeit, denn:
- Die Photovoltaik wächst viel schneller als erwartet: Die Zuwachsraten lagen zwischen 2009 und 2010 bei 65%, zwischen 2010 und 2011 bei 77%, zwischen 2011 und 2012 bei 67%. Ende 2013 werden gemäss Swissolar 720 MW Leistung installiert sein. Damit werden 1,2% des Stromverbrauchs der Schweiz aus Solarstrom stammen. Wenn man zwischen 2014 und 2019 von einem Wachstum von 50% pro Jahr ausgeht, wären es Ende 2019 8200 MW installierte Leistung, sprich rund 8200 GWh oder 14% des Stromverbrauchs. Selbstverständlich wird es je länger je schwieriger, die Wachstumsraten beizubehalten – das ist auf längere Frist auch nicht sinnvoll. Aber in den nächsten Jahren ist eine konstante Wachstumsrate durchaus realistisch.
- Die Wasserkraft in der Schweiz ist in den letzten Jahren viel stärker gewachsen als erwartet. Seit 2009 wurden 620 GWh zugebaut, seit 2003 insgesamt 880 GWh. Im Schnitt der letzten Jahre entspricht das jährlich über 150 GWh – bei gleichbleibendem Zubau bis 2019 rund 1000 GWh.
- Die Produktion in Biomassekraftwerken entspricht heute schon der Produktion des AKW Mühleberg: Die Stromproduktion aus Biomasse und Abfall setzte sich 2012 wie folgt zusammen: Holz – 410 GWh; Abfall (erneuerbarer Anteil) – 2‘020 GWh; Kläranlagen (erneuerbarer Anteil) – 123 GWh; Biogas – 64 GWh. Das sind insgesamt 2617 GWh und entspricht damit fast Mühleberg 2012 (3117 GWh) und liegt sogar über der Produktion des AKW 2011 (2605 GWh).
Jürg Buri, Geschäftsleiter der SES, sieht aber auch eine verfehlte Geschäftspolitik bei der BKW als Grund für den langsamen Zubau einheimischer Kraftwerke: Die BKW habe 2011 und 2012 insgesamt 334 Mio. Franken in fossilen Kraftwerken im Ausland abgeschrieben, weil diese nicht rentabel laufen. «Hätte man dieses Geld in der Schweiz in Solarstrom investiert, könnte man dafür 300 GWh Strom produzieren», rechnet er vor. Dass die BKW erneut in ein Kohlekraftwerk in Deutschland investiert, kann vor diesem Hintergrund nur erstaunen. Bei den heutigen europäischen Strompreisen sind deswegen wohl die nächsten BKW-Abschreiber nötig.
Die Schweiz ist traditionell ein Stromexportland, 2012 wurden 2200 GWh exportiert. Wer rechnet, sieht also: Mühleberg und Beznau können deutlich vor 2019 vom Netz, die «Stromlücke» ist (immer noch) ein Hirngespinst. Die Schweiz hat zwei traurige Rekorde zu verzeichnen: Wir haben das älteste AKW der Welt (4) und sind im Vergleich mit den umliegenden Ländern das Schlusslicht, was den Zubau von Photovoltaik und Windkraft angeht (5). Wir fordern die Schweizer Stromkonzerne und die Politik auf, diese Rekorde umzukehren: Wir wollen Weltmeister sein im Zubau erneuerbarer Energien und im Abstellen von gefährlichen AKW.
Quellen:
(1) http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Muehleberg-ist-fuer-die-Versorgungssicherheit-irrelevant/story/22365379
(2) http://www.swissgrid.ch/swissgrid/de/home/experts/topics/renewable_energies/crf/registration_to_implementation/waiting_list.html
(3) http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/atomkraft-und-kohle-liefern-strom-fuer-muehleberg-1.18177439
(4) http://www.energiestiftung.ch/aktuell/archive/2013/01/28/beznau-und-muehleberg-vom-netz-jetzt.html
(5) http://www.energiestiftung.ch/aktuell/archive/2013/05/02/die-schweiz-bleibt-das-schlusslicht.html
Quelle: Schweizerische Energie Stiftung SES
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