126.000 Fässer. Das sind 126.000 Erinnerungen. Daran, dass Atomkraft eben doch nicht so sauber ist, wie von den Lobbyisten behauptet. 126.000 Fässer mit radioaktiven Müll lagern im Bergwerk Asse südöstlich von Wolfenbüttel. Und eben diese 126.000 Fässer sind nicht vergraben und vergessen: Weil das Bergwerk einsturzgefährdet ist, wird eine Lösung für den vergrabenen Atommüll gesucht.
Es ist ein nuklearer OP-Saal, 750 Meter tief in der Erde. Der Boden frisch gefliest, zusätzlich ausgelegt mit PVC-Platten. Die sind leicht zu dekontaminieren, falls doch mal was daneben geht, was keiner hofft. Der Zugang zur Atommüll-Kammer Nummer sieben, in der das riesige Bohrgerät steht, ist hell erleuchtet. Es ist Strahlen-Kontrollgebiet. Davor hat man eine Art Zeltdorf aus Metallstreben und weißen Planen gebaut. Wer hier hinein will, muss durch drei Sicherheits-Schleusen hindurch. Wer hinaus will, ebenso. Eine spezielle Dusche zur Dekontaminierung gibt es auch - falls jemand zu viel Strahlung abbekommen hat.
Hier protestiert Robin-Wood gegen die Asse. (Foto: Robin Wood)
Endlich wird es ernst in der Asse. Schon vor knapp einem Jahr sollte die "heiße Phase" in dem maroden Atomlager in Niedersachsen beginnen. Der Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), wollte möglichst schnell mit dem Anbohren von zwei der 13 Müllkammern beginnen, in denen Atomabfälle lagern – in vermutlich zerplatzten, zerdrückten und verrosteten Fässern. Doch die Sache verzögerte sich. Erst mussten 32 Sicherheitsauflagen des niedersächsischen Umweltministeriums erfüllt werden. Jetzt soll es bis Ende dieses Jahres soweit sein.
Das frühere Kali- und Salzbergwerk Asse II, gelegen in einem lieblichen, nur sechs Kilometer langen Höhenzug in der Nähe von Wolfenbüttel, diente von 1967 bis 1978 als "Versuchslager" für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Seit 1988 tritt hier Wasser ein, zudem ist die Anlage einsturzgefährdet. Um sie zu sanieren, müssen die abgekippten 126.000 Atomfässer – oder was davon übrig ist – geborgen, wieder übertage geschafft und in ein anders Endlager gebracht werden. Ein Gutachten des TÜV hatte ergeben, das insgesamt 31,3 Kilogramm Plutonium in Asse liegen.
Die Bergung der Fässer würde voraussichtlich mindestens acht Jahre dauern. Der Plan: In einem Drei-Schicht-Betrieb werden jeden Tag 85 Fässer an die Oberfläche geschafft und von dort in ein neu zu bauendes, 25 Hektar großes Zwischenlager. Dort würden sie neu verpackt ("konditioniert") und dann per Lkw und/oder Zug in ein Endlager geschafft, wahrscheinlich Schacht Konrad bei Salzgitter.
"Das Standrohr für den Bohrer sitzt", sagt Asse-Betriebsleiter Harald Hegemann. Das heißt: Es ist alles bereit, um die Expedition durch 27 Meter Beton, Asphalt und Bitumen zu starten, die den Zugang zu Kammer sieben verschließen. Vor 30 Jahren hat der damalige Asse-Betreiber - dem Helmholtz-Zentrum - die Kammer damit verschlossen, wohl in der – heute weiß man, irrwitzigen - Meinung, die darin liegenden 4.300 Nuklearfässer auf ewig vergessen zu können. Rund eine Woche, schätzt Hegemann, wird es dauern, bis seine Bohr-Fachmänner durch sind. "Es ginge auch in einem Tag, theoretisch", meint er. Aber nicht hier. Der Bohrer, zehn Zentimeter dick, wird nur ganz langsam, vorsichtig, mit laufenden Checks, durch den Betonpropfen getrieben. Ein spezieller "Blowout-Preventer" verhindert, dass radioaktive Gase oder Partikel aus dem frisch gebohrten Loch strömen können. Zudem ist Schutzkleidung Pflicht. Man trägt Spezialhandschuhe, gleich drei übereinander. Sicherheit hat Vorrang vor Schnelligkeit.
In der Kammer angelangt, schicken die Asse-Techniker dann Spezialsonden durch das aufgebohrte Loch. Sie bringen Licht ins Dunkel, dann eine Kamera, um Fotos zu machen, ebenso Sensoren, die den Druck messen und Luftproben nehmen. Erst dann wird man genauer wissen, was in den Asse-Kammern wirklich los ist. Mit der Bohrung beginnt die vermutlich weltweit teuerste Sanierung eines Atomlagers. Kosten von zwei Milliarden Euro gelten als Minimum, die höchste Schätzung liegt bei vier Milliarden. BfS-Chef Wolfram König wollte sich jetzt beim Vorort-Termin in der Asse auf keine Zahl festlegen lassen. "Nicht seriös" sei das, angesichts der vielen Unwägbarkeiten bei dem Projekt.
Ursprünglich sollte die Brennelemente-Steuer genutzt werden, um die Kosten abzudecken. Erstens aber fällt deren Einnahme-Volumen nach dem Atomausstieg deutlich geringer aus, als von der Politik geplant. Zweitens hat sie jüngst ein Gericht für verfassungswidrig erklärt. Zwar steht eine endgültige Klärung in der nächsten Instanz noch aus. Es steht aber zu vermuten, dass es auch bei der Asse so ist wie bei vielen anderen Vergünstigungen der Atomwirtschaft: Es zahlt der Steuerzahler, also wir alle.
Bis heute kann niemand sagen, ob das überhaupt funktioniert. Das Bundesamt wird an den beiden "Test-Kammern" erproben, ob es möglich ist, die Fässer und die sie umgebende, wahrscheinlich kontaminierte Salzgrus-Masse zu bergen. Das Problem: Die Kammern könnten instabil werden, wenn sie Zug um Zug ausgeräumt werden. Steht radioaktiv verseuchtes Wasser in ihnen, wird die Bergung noch schwieriger. Man wird mit ferngesteuerte Maschinen arbeiten, um die Strahlenbelastung der Arbeiter zu minimieren. Dabei wird sich zeigen, ob sie auch bei der viele Jahre dauernden Sanierungsprozedur unter den Grenzwerten liegen würde.
Das Atommülllager Asse ist stark einsturzgefährdet. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat zudem hohe Strahlenwerte gemessen. (Foto: Bundesamt für Strahlenschutz)
Die Zeit drängt. Denn es ist unklar, wie lange das marode Bergwerk noch sicher ist. "Wir können maximal zehn Jahre in die Zukunft schauen", sagt Amtschef König. Aber eine genaue Prognose ist schwierig. Niemand weiß nämlich, ob der Wassereintritt in das Bergwerk wie bisher relativ stabil bleibt. Oder ob er plötzlich ansteigt. Derzeit laufen 12.000 Liter pro Tag aus dem Deckgebirge in den Salzstock hinein. Sie werden aufgefangen, in einem großen Becken gesammelt und nach oben gepumpt. Auch die vierfache Menge wäre noch zu beherrschen. Wird es aber mehr, kann keiner ein "Absaufen" des ganzen Bergwerks ausschließen.
Das wäre der Notfall, der Unter-Tage-GAU. Zwar versucht das Strahlenschutz-Bundesamt sich auch auf diese Fall vorzubereiten. Es lässt in den Stollen auf der 750-Meter Ebene Betonbarrieren bauen, die einfließendes Wasser stoppen oder ablenken sollen - gewaltige Pfropfen, bis zu 60 Meter dick. Doch damit wäre nur Zeit gewonnen, um die Atommüll-Kammern mit Spezialbeton abzudichten und den "Angriff" des Wassers auf die Fässer hinauszuzögern. "Das ist ein Notfallschutz", sagt Behördenchef König. Aber verhindern kann den Notfall eben niemand.
Quelle: klimaretter.info / Joachim Wille
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