Die Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe sollte die Atomwirtschaft in Deutschland revolutionieren, jetzt kostet die Entsorgung der strahlenden Altlast den Steuerzahler Milliarden. Nach SPIEGEL-Informationen wird sie noch teurer als bislang angenommen.
Die "Atomsuppe" ist endlich angerichtet. Fast 20 Jahre lang gammelten 60.000 Liter plutoniumverseuchte Salpetersäure im Atomforschungszentrum im Karlsruher Hardtwald in großen Tanks vor sich hin. Inzwischen aber ist der schwierigste Teil beim Rückbau der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe geschafft, die gefährliche Brühe ist in den vergangenen Monaten in Glaskokillen eingeschweißt worden. In der Nacht zum Mittwoch soll der Atommüll nun in fünf Castorbehältern nach Lubmin bei Greifswald gebracht werden. Im "Zwischenlager Nord" wird die strahlende Fracht so lange deponiert, bis die Bundesrepublik einmal ein atomares Endlager für hochaktiven Strahlenmüll gefunden hat.
Die Atomkraftgegner gehen wieder einmal auf die Straße und wollen, wie gewohnt, die Schienen blockieren. Anders aber als bei den sich jährlich wiederholenden Protesten im Wendland dreht sich diesmal nicht alles um die ungeklärte Endlagerfrage. Es geht auch darum, welche Zeche die Bürger heute für den einstigen Traum vom besonders preisgünstigen Atomstrom zahlen müssen. Die Karlsruher Atomsuppe ist nämlich der traurige Rest eines gescheiterten atomaren Versuchs - und symbolisiert zugleich ein Milliarden-Fiasko. Die badische Atomfabrik sollte nämlich einst als Pilotanlage für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf dienen. Damit wollten Politik und Energiewirtschaft bis in die achtziger Jahre hin den nuklearen Brennstoffkreislauf in Deutschland schließen.
In Wackersdorf, so der Plan, sollten die abgebrannten Brennstäbe deutscher Kernkraftwerke aufgearbeitet werden. Zunächst aber gingen die bestrahlten Brennstäbe ab 1971 nach Karlsruhe. Die Anlage in Wackersdorf allerdings wurde niemals fertig gestellt. Im Gegenteil, nach heftigen Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Demonstranten beerdigten Bundesregierung und bayerischen Landesregierung das Projekt 1989. Ein Jahr später war auch in der Karlsruher Versuchsanlage Schluss. Gut 200 Tonnen Brennstäbe sind dort in 19 Jahren aufgearbeitet worden. Seither geht es nur noch um die Frage, wie die Altlast beseitigt werden kann - und wer dafür aufkommt. Klar ist: Der Rückbau wird immer teurer.
* Nach bisherigen Schätzungen sollte es 2,63 Milliarden Euro kosten, in Karlsruhe wieder eine "grüne Wiese" zu schaffen. Nun aber rechnet die Bundesregierung mit 500 Millionen Euro "Gesamtmehrkosten der öffentlichen Hand", weil sich die Errichtung des Endlagers Konrad in Niedersachsen voraussichtlich um fünf Jahre bis 2019 verzögert. Dort sollen viele verstrahlte Bauteile aus Karlsruhe gelagert werden. Die neue Berechnung brachte die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, durch eine parlamentarische Anfrage in Erfahrung.
* Ärgerlich für die Steuerzahler: Lediglich 832 Millionen Euro der Kosten muss die Energiewirtschaft tragen, obwohl rund 70 Prozent der Strahlung der Hinterlassenschaft durch Atomkraftwerke verursacht wurden. Grund dafür ist eine Vereinbarung aus dem Jahr 1991. Damals einigten sich die Bundesregierung, das Land Baden-Württemberg und die Konzerne, den Anteil der Industrie als pauschale Summe zu deckeln.
* Ursprünglich sollten sie gar nur 511 Millionen Euro zahlen, den Rest Bund und Land im Verhältnis 91,8 zu 8,2 Prozent übernehmen. Optimistisch war damals auch der Zeitplan. Spätestens im Jahre 2003 sei der Rückbau abgeschlossen, heißt es in den Vereinbarungen. Inzwischen geht die Bundesregierung von einem Ende der Arbeiten in Jahre 2023 aus - 33 Jahre, nachdem der Betrieb in Karlsruhe endete.
So sorglos die Verantwortlichen mit Steuergeldern umgingen, so unbekümmert war in Karlsruhe auch der Umgang mit radioaktiven Stoffen. Vor allem in den siebziger Jahren kam es zu etlichen Zwischenfällen, wie alte Unterlagen belegen. Mal landeten atomare Stoffe im Hausmüll, mal sickerte verstrahltes Abwasser ins Erdreich, weil Rohre über Monate hinweg unbemerkt leckten. Alleine 16 mal musste 1974 Mitarbeiter Brände in der Anlage löschen, mindestens einmal zog dabei auch eine strahlende Rauchwolke über das Gelände.
Aus heutiger Sicht auch kurios ist ein Vorgang aus dem Jahre 1975: Bei einem Transport Plutonium über den Hof habe sich das "Klebeband, das um den Deckel des Abschirmbehälters geklebt war", gelöst, heißt es in einem Vermerk. Deshalb habe "radioaktive Flüssigkeit" auslaufen können. 1974 rief die Pannenserie gar den damalige Bundesinnenminister Werner Maihofer auf den Plan. Die "Häufigkeit der Vorkommnisse" lasse auf "systematische Schwierigkeiten in der Anlage schließen", stellt er in einem Brief an den Bundestag mit. Die Fehler lägen unter anderem daran, dass die Anlage zu wenig Platz habe, um radioaktiven Müll zu lagern. Offenbar lief der Abtransport der Fässer ins Atommülllager Asse nicht so schnell wie geplant.
Der Politiker hatte auch eine gute Nachricht: Die Bevölkerung müsse sich keine Sorgen machen. Es bestehe keine Gefährdung, "obwohl einige der Vorkommnisse vorübergehende Kontaminationen in der näheren, allerdings unbewohnten Umgebung des Kernforschungszentrums verursachten."
Quelle: Spiegel Online
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