Dienstag, 20. Oktober 2015

Chinesen verringern Einsatz für AKW Hinkley Point

Chinesische Atomkonzerne verringern offenbar ihr finanzielles Engagement beim umstrittenen AKW-Projekt Hinkley Point C. Anders als geplant wird beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Großbritannien laut Medienberichten keine offizielle Investitionsvereinbarung zwischen der britischen Regierung und chinesischen Investoren für den Bau des Atomkraftwerks im Südwesten Englands unterzeichnet. 

Auch wollen die Staatskonzerne China National Nuclear Corporation (CNNC) und Chinese General Nuclear Power Group (CGN) deutlich weniger Geld in den Reaktorbau Hinkley Point C im Südwesten Englands stecken als angekündigt. Der Anteil soll statt der zuvor genannten 40 Prozent nur noch 30 Prozent betragen. Als Gründe dafür werden unter anderem rechtliche Unsicherheiten bei der Finanzierung des AKW-Projektes genannt. Greenpeace Energy aus Hamburg klagt mit weiteren Akteuren gegen die britischen Subventionen in Höhe von 100 Milliarden Euro für das AKW. Laut Studien verzerren diese den Wettbewerb auf dem europäischen Strommarkt und benachteiligen Anbieter erneuerbarer Energien. Ein heute von Greenpeace Energy veröffentlichtes Dossier belegt zudem, dass mindestens einer der chinesischen Staatskonzerne in Umwelt- und Bestechungsskandale verwickelt war.

„Die Investoren wissen, dass Hinkley Point C für sie zum milliardenschweren Risiko werden kann, solange die vom britischen Staat geplanten, üppigen Subventionen noch vor Gericht verhandelt werden“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy. Die beiden großen Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s hatten zuvor angekündigt, die Kreditwürdigkeit von Investoren herabzustufen, wenn diese in Hinkley Point C investieren. Grund sei vor allem die Gefahr von massiven Kostensteigerungen und einer unsicheren Finanzierungslage. „Dazu gehört auch die aus unserer Sicht unrechtmäßige und unfaire Beihilfe, die die EU-Kommission Großbritannien niemals hätte genehmigen dürfen“, sagt Tangermann.

Greenpeace Energy hat zusammen mit acht deutschen Stadtwerken und der oekostrom AG aus Österreich Mitte Juli vor dem Gericht der Europäischen Union in Luxemburg gegen die Subventions-Erlaubnis der Kommission geklagt. Auch die österreichische Bundesregierung geht gerichtlich gegen die von der EU-Kommission genehmigte Beihilfeentscheidung vor. Beide Klagen wurden vom Gericht entgegengenommen und in der vergangenen Woche im offiziellen EU-Amtsblatt veröffentlicht.
 

CNNC und CGN haben bereits 2013 von der britischen Regierung die Erlaubnis erhalten, sich finanziell an Hinkley Point C zu beteiligen. Teil des geplanten Investitions-Vertrages ist unter anderem, dass beide Unternehmen in Großbritannien mindestens ein weiteres Atomkraftwerk mit chinesischer Technik bauen dürfen. Derzeit wird auch in Großbritannien kontrovers über das Subventionspaket für Hinkley Point C diskutiert – und über die Rolle der chinesischen Partner. Britische Experten und Politiker befürchten Sicherheitsrisiken, mangelnde Transparenz und kritisieren immer stärker die hohen Kosten des Projektes.

„Wir begrüßen, dass die Debatte über dieses teure und riskante AKW-Projekt mit all seinen Folgen auch in der britischen Öffentlichkeit geführt wird“, sagt Sönke Tangermann, „denn nicht nur die staatlichen Subventionen und Garantien sind problematisch, sondern auch die möglichen Investoren.“ Dies zeigt ein Blick auf das neue Dossier mit den bisherigen Aktivitäten der chinesischen Staatskonzerne: Millionenschwere Korruption, ein ökologisch desaströser Uranabbau, Unregelmäßigkeiten bei Atomtransporten und niedrige Sicherheitsstandards bei chinesischen AKW prägen das Bild. Zudem ist über Störfälle in China und die Qualität des Krisenmanagements von CNNC und CGN viel zu wenig bekannt. „Vertrauenswürdige Partner für ein europäisches Energie-Projekt sehen anders aus“, so Tangermann.

Neben den chinesischen Unternehmen bleibt derzeit einzig der Betreiber von Hinkley Point C, der französische Staatskonzern Electricité de France (EDF), übrig, um die Investitionen zu stemmen. Diese belaufen sich auf umgerechnet mehr als 30 Milliarden Euro – sofern der aktuell geplante Kostenrahmen eingehalten wird. Der Kraftwerksbauer Areva hat aus finanziellen Gründen seine finanzielle Beteiligung von rund 15 Prozent an Hinkley Point C bereits aufgekündigt. Auch potenzielle Geldgeber aus Kuwait, Katar und Saudi-Arabien haben ihr Interesse an einer Beteiligung zurückgezogen. 


Quelle: Greenpeace Energy

Sonntag, 11. Oktober 2015

Extreme Verletzlichkeit der Schweiz

Der Genfer Geowissenschafter Frédéric-Paul Piguet hat akribisch die weltweite Exposition der Bevölkerung in Bezug auf die nukleare Gefährdung untersucht. Sein erschreckendes Fazit für die Schweiz: Mit dem AKW Beznau liegen wir an 3. Stelle unter 31 Ländern mit 194 Reaktoren.

Die Studie wurde im Auftrag der atomkritischen Organisation Sortir du Nucléaire in Genf erstellt und klassifiziert die Kernkraftwerke nach ihrer Bedrohung des Umlandes durch einen Atomkraftwerksunfall. Nach Untersuchung der insgesamt 194 in Betrieb stehenden Atomkraftwerke weltweit stehen die 4 Schweizer AKW-Standorte unter den 8 höchstklassierten. Sogar ein vergleichbar kleines Land wie die Niederlande hat ihr Atomkraftwerk Borssele weiter weg von der Bevölkerung bzw. den Zentren platziert. An vorderster Stelle sind die AKW Metsamor in Armenien und Kuosheng in Taiwan. Auf Platz 3 liegen ex aequo Beznau und Jinshan in Taiwan. In Beznau stehen gleich 2 Reaktoren, darunter der älteste weltweit. Er steht im 47. Betriebsjahr. Die übrigen Schweizer Reaktoren  folgen auf den Plätzen 5 (Gösgen), 6 (Leibstadt) und 8 (Mühleberg). Auf Platz 7 liegt der  AKW-Standort Doel in Belgien.

Der höchstplatzierte Standort mit der grössten Bevölkerungsbedrohung in Deutschland (Neckarwestheim) liegt auf Platz 17. Jener in Frankreich (St.Alban) auf Platz 34.

Ein dramatisches Gesamtbild ergibt sich bei Betrachtung der Schweizer Gesamtsituation, wie sie die zwei beiliegenden Visualisierungen auf Landkarten verdeutlichen:
  • Das Schweizer Mittelland wäre bei einem grössten anzunehmenden Atomkraftwerksunfall (GAU) der Stufe 7 im Mittelland zwischen Yverdon und Frauenfeld, Basel und Thun, La Chaux-de-Fonds und Luzern für Jahrzehnte radioaktiv schwer belastet.
  • 7 Kantonshauptstädte liegen weniger als 50km von Beznau entfernt, 8 von Gösgen.
  • 5 Kantonshauptstädte liegen im 50km-Kreis um Mühleberg, darunter auch unsere Landeshauptstadt, die gar nur 15 km entfernt liegt.
  • Verkehrstechnisch wäre die Schweiz zweigeteilt, d.h. nicht mehr direkt zwischen Genf und St.Gallen über Bern und Olten verbunden, sondern nur noch über das Wallis und Graubünden, die Alpenpässe Furka und Oberalp.
Frédéric-Paul Piguet folgert in seiner Studie, dass sich im Ernstfall einer Atomkraftwerkskatastrophe "die Frage nach dem Verschwinden von mehreren Kantonen stellen, da deren politischer Betrieb auf unbestimmte Zeit praktisch unterbrochen wäre." Er verweist auch auf die nationale Dimension: "Die Kosten eines Unfalls sind derart hoch, dass der Grundsatz der nationalen Solidarität nicht mehr funktionieren würde, um den Opfern zu Hilfe zu kommen, den vertriebenen Personen und jenen, die wegen des Unfalls ihre Stelle verlieren." Er schliesst nüchtern: "Im Bereich Kernenergie zeigt sich ein kleines Land waghalsig und unverantwortlich, wenn es die Sicherheitsnormen anwendet, die für alte Kernkraftwerke in Ländern gelten, die viel grösser und angesichts eines schweren Nuklearunfalles widerstandsfähiger sind."

Grafik 1 zeigt die Bevölkerungsdichte der Schweiz. (Es sind auch andere Dateiformate erhältlich, nehmen Sie mit K. Schuler Kontakt auf, s. unten)
Grafik 2 zeigt die Betroffenheit der wichtigsten Verkehrsachsen.
Zudem liegen hier eine deutsche Kurzfassung, die französische Vollversion der Studie sowie die wichtigste Tabelle mit dem Gesamtranking bei.


Quelle:  www.atomausstieg.ch.