Dienstag, 11. März 2014

11. März: Fukushima und kein Ende

„Die Lage in Fukushima ist unter Kontrolle“, versichert Japans Ministerpräsident Shinzo Abe bei der Vergabezeremonie für die Olympischen Spiele beruhigend. Der gegenwärtige Regierungschef Japans hat auch den von seiner Vorgängerregierung angekündigten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2040 wieder rückgängig gemacht. Sogar neue Atomkraftwerke sind in Japan geplant. Ein Kommentar zum 3. Jahrestag der Atomkatastrophe in Fukushima mit dem Fazit: Alle Erfahrungen seit der Katastrophe am 11. März 2011 in Fukushima sprechen gegen die Atomenergie:
  • Jeden Tag fließen noch immer mehr als 200.000 Liter radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifischen Ozean.
  • Kontaminierte Böden finden sich auch weit entfernt vom Ort der Katastrophe.
  • Bis jetzt mussten 33 Kinder aus der Fukushima-Region gegen Schilddrüsen-Krebs operiert werden, 41 weitere Kinder stehen unter Krebsverdacht. Bei 55.000 Kindern wurden bei Untersuchungen Schilddrüsenzysten oder –Knoten festgestellt. Sie müssen nicht zu Krebs führen, aber sie können.
  • Die Ärzteorganisation IPPNW erwartet zwischen 22.000 und 66.000 Krebsfälle aufgrund der Erfahrungen in Tschernobyl. Diese Schätzungen basieren auf Daten der Weltgesundheitsorganisation.
  • Die radioaktive Verstrahlung ist zehnmal höher als bislang von der Betreiber-Firma Tepco angegeben.
  • Noch immer sind 140.000 Einwohner der Präfektur Fukushima evakuiert.
  • Mehr als 50 US-Soldaten, die im März 2011 auf einem Marineschiff in der Nähe von Fukushima im Einsatz waren, sind in der Zwischenzeit schwer erkrankt. Sie leiden an Leukämie und verklagen Tepco auf Schadenersatz.
Diese Fakten zeigen, dass auch drei Jahre nach der Katastrophe ein Ende der Schreckensmeldungen nicht absehbar ist. Die Erfahrungen früherer Atomunfälle machen vielmehr deutlich, dass die schlimmsten Folgen von Fukushima nicht hinter uns, sondern vor uns liegen. Hisayo Takada von Green Peace Japan sagt: „Die Leiden der Bevölkerung werden von der japanischen Regierung ignoriert. Bis heute tut die Regierung so als wäre die Krise vorbei. Es wird bewusst falsch informiert und den Opfern erzählt, dass sie irgendwann in ihre Häuser zurückkehren könnten. Das Kalkül dahinter ist klar: So müssen Kompensationszahlungen nicht zur Verfügung gestellt werden.“

Die Fukushima-Opfer leben bis heute in temporären Behausungen und wurden bisher nicht angemessen entschädigt.

Ein Beweis für die hilflose Reaktion der japanischen Regierung auf die Katastrophe ist die Politik der Grenzwerterhöhung. Und die ging so: Bis März 2011 galt ein Grenzwert von 100 Becquerel pro Kilogramm als gefährlich. Nach der Katastrophe wurden die Grenzwerte jedoch auf 8.000 angehoben. So wollte man die verängstigte Bevölkerung in Sicherheit wiegen.

Nach dem Unfall wurden alle 52 japanischen AKW vorübergehend abgeschaltet. Doch in der Zwischenzeit wollte die japanische Regierung die ersten Kraftwerke wieder ans Netz bringen, scheiterte aber überall am Widerstand der regionalen Bevölkerung. Über 65% der Japaner sprechen sich jetzt bei Umfragen gegen Atomenergie aus. Vor der Katastrophe waren es weniger als 40%.

Es gab Anti-AKW-Demos mit über 100.000 Teilnehmern. Die Bewegung „Sayonara genpatu“ („Tschüss Atomkraft“) sammelte über 7,5 Millionen Unterschriften gegen Atomenergie. Jede Woche gibt es „Freitagsdemonstrationen“. Die Reaktorkatastrophe hat Japan verändert. Aber noch nicht ausreichend, um einen dauerhaften Atomausstieg wie in Deutschland politisch durchzusetzen.

Wie ist das möglich?
Der Hauptgrund ist das sogenannte „Atom-Dorf“ in Japan: So wird die Verfilzung von Stromkonzernen, Politik, Bürokratie, Medien, Wissenschaft und Kraftwerksbauern genannt. Hinzu kommen die Interessen der Kapitalanleger, die mehr an ihrer Rendite als an der Sicherheit ihres Landes interessiert sind. Die japanische Atomindustrie dient nicht in erster Linie der Erzeugung von Strom, sondern primär den Interessen des Kapitals. Und solange die Allgemeinheit die Folgekosten wie Unfälle oder gar die Entsorgung des Atommülls trägt, ist Atomstrom billiger als Erneuerbare Energie. Noch. Deshalb sind AKW unter dem vorherrschenden kapitalistischen Wachstumszwang ein attraktives Investitionsziel.

Greenpeace Japan hat herausgefunden, warum im Sommer 2012 das bis dahin abgeschaltete Kernkraftwerk Oi an der Japansee wieder ans Netz ging. Es war der Druck der 18 Großaktionäre, darunter 15 Großbanken, die allesamt nicht auf ihre Rendite verzichten wollten. Aber noch stärker war dann der Druck der Bevölkerung. Auch Oi musste inzwischen wieder abgeschaltet werden. Auch in Japan verstehen immer mehr Menschen, dass der Kampf gegen die Atomkraft ein Kampf für das Leben ist. Auch in Japan verwandelt sich Wut in Protest gegen die alte Energiewirtschaft. Deshalb boomen in Japan seit drei Jahren die Solarenergie und die Windbranche.

Verdrängen, vertuschen, verleugnen: diese Politik der Regierung geht auch im obrigkeitsorientierten Japan heute nicht mehr auf. Täuschen, tricksen, drohen aus Profitinteressen: auch in Japan durchschauen viele Menschen die Machenschaften der Profiteure. Auch wenn die Regierung wieder auf Atomkurs ist oder vielleicht gerade deshalb: Die Menschen haben gelernt, dass atomares Restrisiko exakt jenes Risiko ist, das uns jeden Tag den “Rest“ geben kann. Deshalb heißt es nämlich genau so.

Diese Entwicklung in Fernost ist ein Symbol für die weltweite Entwicklung der Atomenergie. Sie hat ihren Zenit überschritten. Die auch hierzulande oft zu hörende Mär von der „Renaissance der Atomenergie“ ist leicht durchschaubares Wunschdenken der Atomlobby und der Ewiggestrigen. Weltweit wurde die größte Menge Atomstrom 2006 erzeugt, die meisten Atomkraftwerke wurden 2002 betrieben und bereits 1993 war der höchste relative Anteil der Atomenergie an der kommerziellen Stromerzeugung mit 17% erreicht. Heute beträgt er unter zehn Prozent.

Es lohnt sich jetzt rein wirtschaftlich nicht mehr, neue AKW zu bauen. Die englische Regierung versucht es gerade, braucht aber höhere Einspeise-Vergütungen für Atomstrom als für Sonnen- oder Windkraft, damit sich AKWs noch rechnen. Die Europäische Kommission hat Einspruch angemeldet. In Finnland verzögert sich der Bau eines neuen AKW seit vielen Jahren, weil private Betreiber die Kosten scheuen und der Staat vor zu hohen Subventionen zurückschreckt.

Weltweit steigt der Anteil der Erneuerbaren und der Anteil der atomaren Stromversorgung sinkt. An dieser Entwicklung wird aus Gründen der Sicherheit, aber auch aus ökonomischen und ökologischen Gründen mittel- und langfristig kein Weg vorbeiführen. Denn die Erneuerbaren werden von Jahr zu Jahr preiswerter, während wegen der zu Ende gehenden Ressourcen die alten fossil-atomaren Energieträger immer teurer werden müssen. Selbst die atomfreundliche Regierung in Tokio hat nach Fukushima die Sicherheitsauflagen für japanische AKW so erhöhen müssen, dass auch dort die Betreiber wegen der immer höher werdenden Kosten stöhnen.

Ich habe einmal in einer Fernsehsendung ironisch gefragt: „Was kostet es, einen Pförtner zu bezahlen, der eine Million Jahre lang ein Atommülllager bewachen muss?“. Ein kluger deutscher Mathematik-Professor hat mir dann diese Rechnung aufgemacht:  Wenn dieser Pförtner eine Million Jahre pro Monat 2.500 Euro verdient und mit einer Inflationsrate von nur zwei Prozent gerechnet wird, dann kostet dieser Pförtner mehr Geld als alle Menschen der ganzen Welt heute insgesamt zur Verfügung haben. Billiger Atomstrom? Es darf gelacht werden. Auch in tausend Jahren schicken Sonne und Wind noch immer keine Rechnung. Die Erneuerbaren sind ein Geschenk des Himmels - Energie von ganz, ganz oben. Energie vom Chef selbst.

In Ländern wie China, Russland oder Großbritannien werden zwar noch neue AKW angekündigt, aber kaum noch gebaut. China hat 2013 erstmals mehr Geld in erneuerbare Energieanlagen investiert als in alle fossil-atomare Energieträger zusammen. Nicht nur Deutschland, auch Indien, Japan und Spanien produzieren inzwischen mehr Strom aus erneuerbaren Quellen als mit Hilfe atomarer Spaltung.

Ein elftes Gebot scheint sich jetzt weltweit durchzusetzen: du sollst den Kern nicht spalten!

Mittwoch, 5. März 2014

Noch immer in Beznau in den Seilen

Nur mit kurzen Leitern ausgerüstet überwanden die Greenpeace-Leute heute in den Morgenstunden den Zaun des AKW Beznau. Rund 100 Aktivisten sind laut der Organisation auf das Gelände vorgedrungen. Greenpeace fordert die sofortige Stilllegung des Atomkraftwerkes.

Trotzdem sagt Tobias Kistner, Mediensprecher des Konzerns Axpo, der des AKW betreibt, dass das Sicherungskonzept funktioniert habe. Das Eindringen der Personen habe unmittelbar einen Alarm ausgelöst. Die Kantonspolizei sei sofort informiert worden und ausgerückt. Wie Roland Pfister, Sprecher der Aargauer Kantonspolizei sagt, war die erste Patrouille wenige Minuten nach dem Eingang des Alarms vor Ort. Später seien Dutzende Polizisten nachgekommen. Laut Pfister führt das AKW-Gelände an einer öffentlichen Strasse vorbei. Die Aktivisten hätten so bis zum Areal fahren oder gehen können. Eine Aussage zum Sicherheitskonzept wollte er nicht machen. Dies sei Sache des Betreibers.

Laut der Axpo schreibt das Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) lediglich vor, dass die Kraftwerke so gesichert sein müssten, dass Unbefugte nicht ungehindert das Gelände betreten könnten. Der Absperrzaun sei nicht dazu da, ein Eindringen komplett zu verhindern, sondern zu verzögern, zu erschweren und zu detektieren. 

Das Ensi bestätigt diese Aussage. Sprecher Sebastian Hueber vergleicht das Sicherheitskonzept eines AKW mit einer Zwiebel. Nur weil die äussere Schale überwunden worden sei, bestehe nicht automatisch eine Gefahr. In einem Papier des Ensi ist von einem «Schutz in die Tiefe» die Rede. Zwar sind Zäune, Schranken oder ein Durchfahrtsschutz Vorschrift. Auch das Ensi schreibt aber von einem« verzögern des Eindringen der Täterschaft». Die Sicherheitskonzepte der Schweizer AKW werde zudem regelmässig überprüft. Sie seien diesbezüglich «fit». Es habe heute keine Gefahr weder für das Werk noch für die Mitarbeiter oder die Umwelt bestanden, sagt die Axpo. Auch für Greenpeace-Leute sei es unmöglich, in irgendwelche sicherheitsrelevante Bereiche wie in einen Kommandoraum eindringen zu können.

Noch läuft am Nachmittag die Besetzung des AKW Beznau. Die Aktivisten verhalten sich laut der Polizei sehr ruhig und kooperativ. Es sei auch nicht zu Gewaltanwendung gekommen. Rund 40 Personen seien indentifiziert worden und hätten inzwischen das Gelände verlassen. Sie würden wegen Hausfriedensbruchs bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Noch hängen aber einige Aktivisten an Seilen am Reaktorgebäude. Man bemühe sich um die Kontaktaufnahme mit diesen Personen, um ihre weiteren Absichten in Erfahrung zu bringen. Die Polizei gehe davon aus, dass die Leute kein Interesse hätten, acht Stunden lang an einem Seil zu hängen, hielt Pfister fest. Die Polizei werde sicherlich nicht gewaltsam jemanden herunterholen und eine Auseinandersetzung provozieren.  

Quelle: Diverse Agenturen  

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Samstag, 1. März 2014

Fukushima: Strahlenwerte viel höher

Drei Jahre nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima ist noch keine Lösung in Sicht. Wegen Rissen in der Reaktorhülle fliessen riesige Mengen stark kontaminierten Kühlwassers ununterbrochen ins Grundwasser. Allein im Reaktor 1 sind es etwa 80 Tonnen täglich. Und Tepco hat mitgeteilt, dass die bisherigen Messwerte einiger radioaktiver Stoffe viel zu tief gewesen seien.


Kürzlich bekanntgegebene Rekordwerte haben die japanische Bevölkerung erschüttert. Tepco hat mitgeteilt, dass die bisherigen Messwerte einiger radioaktiven Stoffe viel zu tief gewesen seien. Die Messmethode sei falsch gewesen. Beispielweise wurden im Grundwasser unterhalb Reaktor 2 im Juli 2013 900‘000 Becquerels pro Liter Betastrahlung inklusive Strontium 90 gemessen. Zwei Monate später – mit der jetzt richtigen Messmethode – waren es mit Strontium 90 allein 5 Millionen Becquerels pro Liter. Diesen Rekordwert machte Tepco erst Anfang Februar bekannt. Hochgerechnet auf die gesamte Betastrahlung, könnten es damals 10 Millionen Becquerels pro Liter gewesen sein, korrigiert Tepco daraus.

Eine neue, zuverlässigere Messmethode ist erst im Oktober 2013 eingeführt worden. Tepco will die damals entnommenen und aufbewahrten Wasserproben nochmals analysieren. Der Vorstand des Sicherheitsamtes (Nuclear Regulation Authority), Shunichi Tanaka, kommentierte an einer Pressekonferenz: «Tepco fehlen grundlegende Kenntnisse über die Messung radioaktiver Belastung. Wir müssen sie besser instruieren und strenger kontrollieren.»
Mitte Februar wurden im Grundwasser bei Reaktor 2 erneut Rekordwerte erreicht. Diesmal mit Cäsium 134 und 137: 130‘000 Becquerels pro Liter. Einen Tag zuvor waren es an derselben Stelle noch 76‘000 Becquerels. Den Grund für diese Schwankungen kennt niemand.


Zur Zeit sind immer noch knapp 140‘000 Einwohner der Präfektur Fukushima evakuiert. Indirekte Folgen der Reaktor-Katastrophe wie etwa Stress wegen der langandauernden Evakuation haben hier bisher bereits 1656 Todesopfer gefordert – in dieser Präfektur sind mehr als wegen des Erdbeben und des Tsunami zusammen. Bei insgesamt 74 der bisher rund 270‘000 untersuchten Kinder und Jugendlichen wurde Krebs diagnostiziert – oder zumindest vermutet. Über 600 Kinder stehen unter intensiver Beobachtung. Täglich arbeiten 3000 Personen an den Aufräumarbeiten der Reaktoren, bisher insgesamt 32‘000 Mann – unter hochbelastenden, miserablen Bedingungen.


Quelle: Nikkan-Gendai, Kyodo-Tsushin, Mainichi-Shinbun, CNIC / Schweizerische Energie Stiftung

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