Donnerstag, 10. Februar 2011

Korrosionsschäden drohen

Eicke R. Weber sorgt sich um die Sicherheit der weltweit 440 Atomkraftwerke. In der Diskussion um die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde eine Frage oft nur gestreift: Die Betriebssicherheit von alternden Meilern. Erst kürzlich lasen wir, dass im AKW Grafenrheinfeld Hinweise auf einen Riss in einem Thermoschutzrohr ganz nahe dem zentralen Druckbehälter auftauchten – ein Problem, das eventuell zu einem schweren Kühlmittelaustritt führen könnte. Ein Kommentar von Eicke R. Weber.



Die erwähnte Meldung erinnerte mich an ein Gespräch mit einem Kollegen in Berkeley, das ich vor etwa 15 Jahren geführt hatte. Dieser Kollege ist Experte auf dem Gebiet der Korrosion. Er war gerade vom früher weltgrößten Hersteller von AKW, wo er für Korrosionsprobleme zuständig war, nach Berkeley gekommen. Er erklärte mir, dass man sich dort, als die AKW jung waren, hauptsächlich mit Problemen im externen Sekundärkreislauf beschäftigt habe, dann mit Problemen kleinerer Rohre im Primärkreislauf. Er wolle in seiner dortigen Stelle aber nicht mehr sein, wenn die durch die intensive Strahlung beschleunigten Korrosionsprobleme an die großvolumigen Rohre des zentralen Kühlkreislaufs oder gar zum zentralen Druckbehälter selbst vordringen.

Externe Rohre ließen sich relativ leicht tauschen, aber je näher diese Leitungen an diesen zentralen Behälter mit den Kernbrennelementen herankommen, desto schwieriger würde eine Reparatur. Der zentrale Behälter ließe sich kaum reparieren. In jedem Jahr Volllastbetrieb werden die Rohre des zentralen Kühlkreislaufs, in dem hoch radioaktives Wasser fließt, sowie der zentrale Druckbehälter einer intensiven Strahlung ausgesetzt. Sie wirft Atome aus ihrer Lage, schafft punktförmige Störstellen. Dies beeinflusst die Festigkeit, im schlimmsten Fall durch Bildung eines Haarrisses, an dem sich weitere Fehlstellen bevorzugt ansammeln, was zur Ausbildung eines größeren Risses und zum Bersten führen kann.

Zu weiterer Belastung kommt es, wenn AKW häufig heruntergefahren werden, da die thermischen Spannungen die Korrosion beschleunigen. Glücklicherweise verfügen wir über sehr empfindliche Messgeräte, die Haarrisse entdecken können. Ungewiss ist allerdings, ob alle AKW der Erde ebenso gründlich überprüft werden, ob alle kritischen Stellen zugänglich sind und was im schlimmsten Fall passieren kann. Ein unentdeckter Riss kann zu einem plötzlichen Verlust von Kühlflüssigkeit führen. Automatisch sollen dann Bremsstäbe so schnell einfahren, dass die Kettenreaktion zum Stillstand kommt.

Sorgen bereitet ein Szenario, in dem durch Bersten des zentralen Druckbehälters auch die Gestänge der Bremsstäbe beschädigt werden: Falls sich diese verklemmen oder aus anderen Gründen nicht einfahren, kann es zur Kernschmelze mit dem Austritt großer Mengen radioaktiven Materials kommen. Unsere Sicherheit hängt also an der Hoffnung, dass selbst bei einer unkontrollierbaren Druckbehälterexplosion die Sicherheitssysteme noch sicher arbeiten. Ein derartiges Szenario ist in Deutschland weniger wahrscheinlich. Der TÜV sorgt in Zusammenarbeit mit den Reaktorsicherheitskommissionen für eine sorgfältige und kontinuierliche Überwachung unserer AKW.

Aber jedes Jahr altern alle AKW der Welt, mit den oben beschriebenen Bestrahlungseffekten. Daher ist die Sorge berechtigt, dass es an einem dieser 440 Reaktoren zu einem schweren Störfall kommen kann, im schlimmsten Fall zur Kernschmelze. Wenn dann AKW auf Grund von Protesten abgeschaltet werden, könnten wir einen Engpass in unserer Stromversorgung erleben. Wir sind ja gerade dabei, den bisher so erfreulichen Zubau der erneuerbaren Energien durch ängstliche Maßnahmen zu bremsen.

Als Politiker würde ich mich wohlfühlen zu wissen, dass wir im alten Atomkompromiss einen langsamen Ausstieg bis 2022 vorgesehen hatten. Parallel dazu sollten regenerative Energien zugebaut werden. Eine Stromlücke hätte sich nirgends aufgetan, wir exportieren ja zunehmend einen Stromüberschuss, und 2022 wäre der atomare Alptraum vorüber. Die vorgesehenen zwölf Jahre Verschiebung der Abschaltung dagegen, für einzelne Meiler noch länger, könnten mir als Politiker viele weitere Jahre mit schlechtem Schlaf schenken.

Eine letzte Hoffnung ist das Bundesverfassungsgericht: Es wird sorgfältig prüfen ob eine derartig drastische Verlängerung der Laufzeit von durchschnittlich 32 Jahren auf 44 Jahre und mehr tatsächlich nicht die Zustimmung beider Kammern des Parlaments erfordert.

Quelle: Eicke R. Weber, Direktor des Fraunhofer- Instituts für Solare Energiesysteme / Sonnenseite

Erstveröffentlichung "Badische Zeitung" | 05.02.2011

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