Schwerer
Schlag für französische Atomindustrie. Im Reaktorbehälter des
AKW-Neubaus Flamanville sind Risse aufgetaucht. Die französische Presse
mutmasst irreparable
Schäden, während sich die sonstige Atomwelt bedeckt hält. Möglicherweise
ist
das ein weiterer Sargnagel für die französische Atomsparte, die zuvor
schon von
massiven Finanzproblemen gebeutelt wurde. Einen Rückschlag stellt das
auch für
die Gegner des unweit von Basel gelegenen Uralt-Reaktors Fessenheim dar.
Es ist nicht der erste Schlag, den die französische
Atomindustrie in diesen Monaten zu verkraften hat – aber vielleicht ist es der
folgenschwerste. Mit Auswirkungen auf die Entwicklung des künftigen
Atomkomplexes insgesamt, zumindest in der westlichen Welt. Für Frankreich selbst kommt
erschwerend hinzu, dass plötzlich der Nutzen, ja schon die Überlegenheit, der
erneuerbaren Energien wahrgenommen wird. Doch alles der Reihe nach – und gemäss
dem aktuellen Kenntnisstand zu einer Branche, die sich nicht durch Transparenz
auszeichnet. Zahlreiche Berichte vor allem in französischen Medien erlauben
eine schemenhafte Beurteilung.
Vier Tage ist es her, dass Meldungen auftauchten über Risse
im Kernmantel des noch in Bau befindlichen AKW Flamanville (siehe Luftbild links mit dem noch offenen Reaktorbehälter). Flamanville wird eh
schon der teuerste Meiler aller Zeiten – Baudauer und Baukosten sind
geradezu explodiert. Letztere machen unterdessen mindestens 8,5 Milliarden Euro
aus – eine Inbetriebnahme steht nicht vor 2017 zu erwarten, dabei sollte das
Werk schon seit 2011 Strom liefern. Und nun also dies: Die französische
Atomaufsicht ASN gab am Dienstag eine "Anomalie" beim Reaktorbehälter
des sogenannten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) bekannt. Die Newsplattformformat.at schreibt dazu: «Ein
Behördenverantwortlicher sagte, das Problem liege in der Zusammensetzung des
Stahls in bestimmten Bereichen des Behälterdeckels und des Bodens.» Nun sollen
bis Oktober Ergebnisse einer von Umweltministerin Segolene Royal veranlassten
Untersuchung vorliegen.
Die französische Presse überschlägt sich mit Mutmassungen
und sieht teils schon das Ende dieser wichtigen, aber auch arg strapazierten
Industriesparte gekommen. Vor Monatsfrist hatte der AKW-Bauer Areva einen
Jahresverlust von nahezu fünf Milliarden Euro kommuniziert. Seither reissen
auch die Spekulationen nicht ab, wonach der staatliche Energieversorger
Electricité de France (EDF) sich zumindest teilweise am ebenfalls staatlichen
Areva-Konzern beteiligen solle. Die Schlagzeilen zu den neuesten Problemen in
Flamanville, die in erster Linie auf Areva zurückfallen, lauten unter anderem:
- Le réacteur EPR de Flamanville n’en finit pas d’accumuler
les problèmes techniques: l’Autorité de sûreté nucléaire (ASN) a annoncé mardi
une nouvelle «anomalie» sur la cuve, un «élément particulièrement important
pour la sûreté» siehe Liberation
- Le réacteur EPR de Flamanville touché au cœur - siehe Le Monde
Fatal erscheint eine gewisse
Verknüpfung mit dem maroden AKW Fessenheim unweit der Schweizer Grenze gelegen,
wie die Tageswoche schreibt: «Vieles hängt dabei vom neuen Druckwasserreaktor beim
Kernkraftwerk Flamanville in der Normandie ab. Kommt dieser in Betrieb, wird als
Kompensation ein anderes geschlossen. » Und dieses ist höchstwahrscheinlich
Fessenheim. Umgekehrt heisst das auch – wenn Flamanville noch lange nicht oder
vielleicht nie in Betrieb geht, dann wird Fessenheim um so länger laufe.
Für die Atomwirtschaft in
Frankreich läuft es auch sonst nicht optimal. Das mit französischer Beteiligung
und Extrem-Subventionen in Grossbritannien geplante Hinkley Point ist noch
nicht in trockenen Tüchern – die dort engagierte Areva geht derzeit über die
Finanzbücher, mit ungewissem Ausgang (siehe dazu Figaro vom 2. April 2015).
Und plötzlich machen in
Frankreich Studien die Runde, die die Erneuerbaren Energien kostenmässig im
Vorteil gegenüber der Atomkraft sehen (siehe LeMonde vom 9. April 2015). Dort heisst es unter anderem, dass Frankreich bis zum Jahr 2050 seinen Strom
vollumfänglich aus erneuerbaren Quellen beziehen könnte. Der wäre dann zwar um
rund ein Drittel teurer gegenüber heute – nur dass diese Verteuerung auch zu
gewärtigen sei, wenn das Land weiterhin auf die Atomkraft setzte – die extreme
Kostensteigerung von Flamanville lässt grüssen.
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